Es ist so still
Ruhe am Morgen. Wer schätzt das nicht. Zumindest ab einem gewissen Alter. Daher fiel mir das anfangs gar nicht auf. Diese Ruhe. Ok. Das Wetter heute morgen hat was von Suppe, in der ich zur Bushaltestelle geschwommen bin. Statt der direkt vor der Haustür habe ich mich für die nächste hinter der Kreuzung entschieden. Das war eine Spekulation auf Wahrscheinlichkeiten.
Vor der Haustür fährt eine Linie alle halbe Stunde. Mehr oder weniger halbe Stunde inklusive. Über der Kreuzung fährt die Circle Line, die einfach ständig im Kreis fährt. Nächstens mit größerem, tagsüber mit kürzerem Abstand. Dem Fahrplan folgend wäre der Bus vor der Tür früher dran, was aber an der nächsten Kreuzung egal wäre, denn dort hält er ebenfalls. Aber da er heute offenbar zu spät und der Kreisbus wahlweise zu früh oder viel zu spät war, hatte ich richtig spekuliert und mich noch ein bisschen bewegt. Was den Kampf gegen die Morgenmüdigkeit unterstützte.
Nun stand ich also im gut gefüllten Bus. Uhrzeitbedingt waren die Fahrgäste überwiegend Schüler auf dem Weg in die Schule. Und dann war da diese Stille. Wenn ich mich an meine Schulzeit und die Busfahrten zur und von der Schule erinnere, gab es da regelmäßig grenzwertige Situationen, was den Pegel betraf. Da sprach der Fahrer schon mal die Drohung aus, dass die oder der Lauteste ab der nächsten Haltestelle läuft. Soweit ist es zwar nie gekommen, zumindest nicht in meiner Erinnerung. Aber es hielt sich nachhaltig die Geschichte, dass es schon mal passiert sei. Was hinreichend einschüchternd war und niemand es darauf ankommen lassen wollte. Was weniger fehlender Risikofreude oder unzureichendem Mut, vielmehr der schlichten Vernunft geschuldet war. Damals hatte man kein Mobiltelefon, mit dem man mal fix Mamma oder Pappa für eine Abholaktion hätte ranrufen können. Du läufst war also eine real existierende Drohung im wörtlichen Sinne.
Daher regelte diese Ansage den Pegel etwas herunter. Etwas und je nach Tageslaune zeitlich mehr oder minder stark begrenzt. Aber heute morgen, da war es einfach still. Als mir das gewahr wurde, schaute ich mich um und war mir nicht sicher, ob ich das toll finden oder Mitleid haben sollte. Da sitzt die Hoffnung in unsere Zukunft mit riesigen Kopfhörern auf den Ohren im Bus und hört Musik oder die Jungs schauen Germanys Top Model als Stream auf dem Hightech-Telefon. Wir haben in Zeitschriften geblättert, in denen so manches Mädel ebenfalls nicht viel anhatte. Das ist bei Heranpubertierenden generationsübergreifend ein genetisch vorprogrammiertes und daher normales Verhalten. Aber wir hatten eine Bravo oder Härteres. Die Druckschrift wurde herumgereicht, beschaut und diskutiert. Heute glotzt jeder in seine ganz private Kiste, von der Umwelt abgeschottet durch die direkte Lauscherbeschallung. Neue Medien als Kommunikationskiller.
Ob unsere Kommunikation im Bus hochstehend oder bildend war, sei dahin und für so manchen Tag davon in Abrede gestellt. Was jedoch unbedingt stattfand war die soziale Interaktion. Umgang mit anderen. Echten Anderen. Facebook und Co. mögen zwar die modernere Form der Kommunikation sein, aber ich habe so meine Zweifel, ob das der Bildung sozialer Kompetenz beiträgt, wenn ich mich unter dem Mäntelchen des Netzes versteckt mit anderen unterhalte oder Aug in Aug für das gerade Gesagte einstehen muss. Aber selbst das fand im Bus nicht statt. Videoschauen oder Musik hören. Von geschätzt 30 Schülern im Bus haben zwei durch Erzeugen von Schallwellen mit Ihren Stimmbändern kommuniziert. Die übrigen hielten ihre Hypnose-Box in der Hand und waren irgendwo, aber erkennbar nicht mit ihrem Sitznachbarn unternwegs.
Das könnte ich jetzt eigentlich toll finden. Diese disziplinierte Jugend! Allerdings hat das für mich eine andere Lesart. Für mich hat es eine ignorante Ausstrahlung. Wenn ich mich nicht mehr für meine direkte Umwelt interessiere - wo führt das hin?