Ist Linux auf dem Desktop alltagstauglich?
Die vergangene Woche war ein sehr intensives Erlebnis mit Linux. Wobei das so ungenau ist. Denn das Linux gibt es nicht. Es gibt eine Unzahl an Linuxen. Jedes für sich ist — natürlich — das Beste. Bei genauerer Betrachtung lassen sich viele dann zwar auf einige Wenige Kern-Linuxe zurückführen, aber für einen Einsteiger gibt es dennoch unüberwindliche Hürden.
Das fängt schon damit an, dass ich unter KDE ohne Guru-Weihen keine Chance habe, mir den Dateimanager einer anderen Distribution in der aktuellen Version zu installieren. Denn was die Aktualität betrifft, sieht es mit dem anfangs sehr beeindruckenden Software-Center (oder wie auch immer das bei den jeweiligen Distributionen heißt) häufig außerordentlich traurig aus. Während ich unter Windows problemlos und im Handumdrehen das aktuelle LyX in Version 2.1 installiert bekomme, muss ich mich unter KDE mit Version 2.0.1 zufrieden geben. Ich muss also auf rund drei Jahre Innovation verzichten, weil mir im Rahmen meiner Möglichkeiten in Ermangelung eines allgemein Linux-tauglichen Installationsprogramms die aktuellste Version verwehrt bleibt.
Natürlich gibt es Tipps & Tricks-Seiten die Kniffe erläutern, wie was gelöst werden muss, damit dann irgendwas klappt. Wobei speziell in Foren der gerade als möglicherweise taugliche Lösung ermittelte Kommentar häufig bereits vom nächsten Beitrag pulverisiert wird. Vor lauter Freiheiten bei der Auswahl und der Konfiguration meines Systems verliert sich schnell der eigentliche Auslöser aus den Augen. Ich wollte mit der Kiste als Werkzeug meine Arbeit erledigen!
Spätestens, als ich gedankenverloren einen Scanner angeschlossen habe und nach diversen Forenbeiträgen um die Erkenntnis reicher war, dass das Anschließen eines Scanners nicht so einfach geht wie unter Windows, schwoll mir der Hals doch ziemlich an. Denn mal fix was Einscannen fällt unter die Rubrik was rauchst du Schönes? Also habe ich den Scanner kurzerhand an meinen Windows-Rechner angesteckt, der hat fix den Treiber geladen und das Dokument als PDF an eine Mail angehängt, die ich mir auf den Linux-Rechner geschickt habe. Hätten mich ein paar Randbedingungen nicht dazu genötigt, wäre ich wahrscheinlich einfach auf dem Windows-Rechner geblieben, denn da stellen sich weniger Probleme in den Weg.
Ich muss gestehen, nach dem Rumgeeiere dieser Woche fühle ich mich von Microsoft weder ausgebeutet noch gegängelt. Vielmehr bezahle ich zwar für das Betriebssystem, dafür funktioniert aber alles, wie ich es mir vorstelle. Ein fehlendes Programm bekomme ich problemlos funktionsfähig installiert, selbst wenn es schon älter ist, ohne dass es eine Heerschar an Bibliotheken nachinstalliert und mir damit andere Programme zersemmelt.
Auf einem aktuellen Windows bekomme ich darüber hinaus problemlos die aktuellen Versionen der von mir verwendeten Programme. Amüsanterweise sind das in einigen Fällen OpenSource Programme aus dem Linux-Bereich. Es hat was, dass ich die unter Windows problemlos in der neuesten Fassung nutzen kann, während ich sie unter Linux zum Teil gar nicht lauffähig kriege. Wobei ich einräume, dass das in eingen Fällen sicherlich auch an meiner Weigerung liegt, mich erst einmal wochenlang mit den Feinheiten des verwendeten Systems auseinander zu setzen. Ich will einen Nagel nicht einschlagen, indem ich den Stahlstift mit einem Haus gegen den Hammer in meiner Hand drücke. Energetischer Unfug.
Jedenfalls verstehe ich jetzt, weshalb es viele Rechner mit Windows drauf gibt. Linux nutzen, ist wie Elektroauto fahren. Mag sein, dass das viel cooler und besser ist. Aber was nützt es, wenn ich nur 150km weit komme und dann dort keine Stromzapfsäule ist. Oder eben kein passender Scannertreiber. Der Turmbau zu Babel ist an der Vielfalt der Sprachen gescheitert. In den Kulturen dieser Erde mag es optisch unterschiedliche Hämmer geben, funktional sind sie jedoch alle gleich. Genau deshalb ist Windows erfolgreich: Weil man es nicht jedem recht machen will, sondern jedem — im übertragenen Sinn — einen Hammer in seiner Sprache anbietet, der dann aber immer gleich funktioniert. Mag sein, dass ein Windows-Anwender etwas weniger informiert ist, weil er sich in den unendlichen Weiten von Linux verläuft, während Linux-Anwender Windows mühelos bedienen können. Andererseits: Wenn´s mühelos(er) geht, warum soll ich mich dann quälen? Mich haben die vermeintlichen Grenzen von Windows bisher noch nie limitiert.
Auf einem Linux-Desktop fühle ich mich deutlich unfreier und muss (aus meiner bisherigen Wahrnehmung) viel weitere Wege gehen. Eine überraschende, erschreckende und zugleich bedauerliche Erkenntnis.