Glück durch Elend
Man könnte fast meinen, dass die Gebete der europäischen Politiker erhört wurden. Nachdem ein paar zu viele in kurzer Zeit im Mittelmeer ertrunken sind, wurde es peinlich. So ein klärendes Beben — schön weit weg — ist doch eine prima Ablenkung.
Das — genauer die immer noch fortwährenden — Beben in Nepal sind eine wirklich üble Sache. Aber Herr Messner hat schon recht. Medial sorgen wir uns mehr um die Reichen, die sich einen teuren Trip dorthin leisten können. Wobei es verständlich ist, dass Zuhausegebliebene wissen möchten, wie es den Angehörigen geht.
Da die Wenigsten von uns dort lebende Verwandtschaft haben, ist die normale Bevölkerung nicht ganz so im Fokus. Die haben auch keine HD-Kamera und ein Satellitentelefon, mit dem die Nachrichten mit wunderschön schaurigen Bildern geflutet werden könnten. Die lagen halt in den schweineteuren Expeditionszelten griffbereit, aber nicht in der Lehmhütte. Wobei letztere kommentarlos zusammengestürzt sein dürfte, also selbst wenn: die Filme wären arg dunkel.
Bedauerlich, dass erst so eine Katastrophe eintreten muss, damit durch Spenden das Geld ins Land kommt. Insbesondere deshalb, weil womöglich ein Bruchteil davon bereits sehr wirkungsvolle Maßnahmen ermöglicht hätte. Maßnahmen, damit weniger sterben.
Aber die haben, naja hatten es schön da, zum Glücklichsein bedarf es keinen Reichtum. Außerdem kümmern wir uns ja jetzt. Vielleicht ein bisschen spät, aber immerhin. Da macht Frau Kanzler schon mal die Spendierhosen auf. Ein bisschen wenigstens. Wir zeigen, dass wir die Logistik-Profis sind und es echt drauf haben.
Soweit, so gut.
Allerdings sind damit natürlich die täglichen Katastrophen, die medial fraglos langsam etwas ausgelutscht sind, nach hinten gerutscht.
- Was ist denn mit den europäischen Boot-People, was tut die EU da?
- Wer kümmert sich um die verschleppten Mädchen und Frauen in Afrika?
- Wie geht es mit Ebola weiter — gibt es jetzt einen wirksamen Impfstoff und wenn ja, wer bekommt den?
- Was ist mit den vielen Menschen, die täglich hungern, bedrängt, vertrieben, be- und erschossen werden, aber halt keine deutsche oder europäische Touristen das Thema fokussieren? Weil es da so elend ist, dass man nicht mal wegen der Natur hinkommt?
So gesehen gibt es für die Medien immer das Glück, dass es irgendwo anderen echt Scheiße geht. Für die Politik ist das ebenfalls eine prima Sache, lenkt es doch von den eigenen Inkompetenzen ab. Wen interessieren im Schatten solcher Ereignisse die Quengeleien von SPD, CDU und CSU, die es trotz Spitzenwerten bei den Steuereinnahmen nicht geregelt bekommen und es im eigenen Land nicht auf die Reihe kriegen. Wobei man beispielsweise das Armutsthema natürlich relativieren kann, wie „Die Welt“ zeigt.
Andere Publikationen sehen das sicher anders, ich habe aber keine Lust zum Suchen. Gerade werden mindestens 4000 Tote in Nepal durchgesagt. Das können ja nur welche aus Gegenden sein, in die man schon hinkommt. So wie es sich darstellt, war man ja noch lange nicht überall. Acht Millionen sollen betroffen sein. Also weniger, als es — lt. „Die Welt“ grob überschlagen — „Arme“ in Deutschland gibt. Die sind bestimmt nicht alle tot oder verletzt, also alles halb so wild.
Unglück ist halt relativ. Und ich behaupte einfach mal, dass ein Armer in Deutschland mutmaßlich doch ganz schön Glück im Elend hat. Was keinesfalls bedeutet, dass man sich deshalb nicht auch um diese Menschen kümmern muss. Auch wenn es dazu keine schick-schaurigen Bilder gibt.