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gesellschaft,gedanken

Bewerte mich!

Erstellt: 14.07.2016 Lesedauer 3 - 4 Min.

Ständig will man von mir, dass ich jemand anders bewerte. Aber bitte nicht ehrlich, sondern immer nur bestmöglich.

Heute morgen liegt bei mir die Mail eines Paketdienstes im Postfach. Da grinst mich ein Mensch an, den ich noch nie in meinem Leben gesehen habe und bittet um Bewertung. Er habe mein Paket ausgeliefert. Was glatt gelogen ist. War ein Kollege. Der war etwas gestresst und etwas derangiert, aber trotzdem freundlich. Der hat das Paket ausgeliefert.

Ihn kann ich aber nicht bewerten. Ich kann nur den debilen Grinser bewerten. Zumindest vermittelt der Text drumherum diesen Eindruck. Allerdings soll ich nicht ihn oder meinen Paketlieferanten bewerten, sondern „uns“.

Ich lande auf eine leeren Deutschlandkarte, daneben eine Streckenführung über fünf Punkte. Dahinter steht das Startdatum 11.07. und das Auslieferungsdatum 13.07. Soll ich jetzt für die Strecke Frankfurt — Berlin drei Tage Transportdauer beklatschen? Oder mich freuen, dass das Päckchen — mehr war es nämlich nicht — direkt bei mir angekommen ist?

Letzteres ist leider nicht zwingend. Ich habe genau von diesem Paket-Dienst regelmäßig Benachrichtigungen im (digitalen) Postfach, ich sei nicht da gewesen. Deshalb habe jetzt ein Nachbar meine Sendung. Andere Postdienste werfen wenigstens einen Zettel in den (analogen) Briefkasten als Beweis, dass wirklich jemand vor Ort war. Regelmäßig fasziniert mich, warum ich weder die Klingel noch das Auto gehört habe. Mein Home-Office ist Richtung Straße. Die Klingel teste ich in solchen Fällen immer. Könnte ja kaputt sein.

Glücklicherweise habe ich hier eine angenehme Nachbarschaft. Man weiß, wer her gehört und Pakete werden fallweise reihum angenommen. Ist daher kein Problem, was das tatsächlich bekommen der Lieferungen betrifft. Es wirft jedoch Fragen auf. Darüber ist sich der Paketdienst offenbar sehr bewusst, denn in der Nachricht „beim Nachbarn“ gibt es — soweit ich mich erinnern kann — keine Möglichkeit der Bewertung. Da hat jemand mitgedacht.

Bei der immer noch offenen Bewertungsmaske habe ich als nächstes das Problem, dass über den Bewerten Sie uns - Sternchen der Name des Absenders steht. Sehr prominent. Soll ich etwa den Lieferanten bewerten, wie gut die Sendung verpackt war? Oder dass meine Adresse korrekt auf dem Paketaufkleber ausgedruckt war?

Wenn ich mich auf der Seite zwecks Informationsgewinnung umschauen möchte, wird von mir eine Anmeldung erwartet. Das kann ich mit meinem (nicht existierenden) Facebook oder Google-Profil tun. Damit man auch ein bisschen mehr von mir erfährt?

Eigentlich müsste ich da versuchsweise eine schlechte Bewertung eintragen. Allerdings gefährde ich damit womöglich den Mitarbeiter, der seine Arbeit ordentlich gemacht hat. Also lasse ich das. Mag sein, dass ich mir über Bewertungen viel zu viele Gedanken mache. Eben auch, dass sie Konsequenzen für die oder den Bewerteten haben (können). Das schreit nach Sorgfalt und Prüfung. So sehe ich das jedenfalls.

Bei ehrlichen Bewertung in Lieferportalen wurde ich mittlerweile schon mehrfach angefragt, ob mich ein Geschenk umstimmen könnte. Wahlweise Meinung ganz zurückziehen oder nachbessern. Letzteres bevorzugt.

Warum sich meine Einschätzung von etwas grundlegend verändern sollte, weil ich es z.B. geschenkt bekomme, hat sich mir noch nicht erschlossen. Klar. Wenn es nichts gekostet hat, bin ich fair. Dann muss es nicht so toll sein. Was aber irreführend für alle ist, die aufgrund meiner nachgebesserten Meinung Geld ausgeben. Ich soll meine Reputation in den Ring werfen und mich verstellen?

Ich habe mich beschenken lassen, dass aber in die Bewertung geschrieben und dafür einen „Service-Stern“ extra verteilt. Was die Bewertung zwar aus dem Keller, aber nicht über das Mittelfeld hinaus gebracht hat. Denn besser wurde das Ding deshalb ja nicht. Es hat lediglich nichts gekostet. Geärgert hat es mich dennoch.

In einem anderen Fall war das Teil tatsächlich kaputt. Da fand ich das Angebot des „behalt das, wir schicken noch eins und du prüfst im Gegenzug deine Bewertung“ einen fairen Deal. Das war mir ein Lob wert, weil das Kundenservice ist, den es immer seltener gibt. Das funktionierende Teil war tatsächlich sein Geld wert. Da bessere ich gern nach. Weil ich nicht lügen muss.

Wenn ich allerdings nur fünf Sternchen habe, oder — weil diese komplexe Differenzierungsmöglichkeit überfordert — nur Cäsar-like eine Daumenrichtung zur Bewertung habe, verweigere ich mich. Denn das allein sagt schlicht gar nichts aus darüber, was die oder derjenige tatsächlich bewertet hat. Und verzerrt damit den Eindruck für alle, die sich nur von der Meinung anderer leiten lassen, statt sich eine eigene zu bilden.