Wie ratsam ist ein öffentliche…AlleWenn die Schwelle sinkt

gedanken,gesellschaft

Der normale Wahnsinn

Erstellt: 23.07.2016 Lesedauer 2 - 3 Min.

Wie halten das Menschen in Krisengebieten aus, bei denen „München“ der ganz normale Tagesablauf ist?

Allem Anschein nach hat ein durchgeknallter Einzeltäter mal eben 9 Menschen umgebracht und viele körperlich, ungezählte seelisch verletzt. Die Münchner Polizei war schnell extrem präsent. Die Stadt stand still. Die öffentlich-rechtlichen Sender füllten die mittlerweile täglichen „Sondersendungen“. Egal welcher Kanal, überall die gleichen Bilder und Spekulationen.

Was hilft es den Hinterbliebenen, ob der Bescheuerte ein „Islamist“ oder eben nur ein Spinner war? Nix. Aber mal drüber reden füllt Sendezeit. Schürt nebenbei noch ein bisschen die Gerüchteküche. Die dann neue Themen gebiert, über die gelabert werden kann. Die privaten Sender waren da irgendwie professioneller. Da wurden kompakte Infos geliefert, aber gleichzeitig eine gewisse Normalität gewahrt.

Wie mir es ginge, wenn in meinem Kiez jemand herumgeballert hätte, weiß ich ehrlicherweise nicht. Natürlich verunsichert das. Es wird sich auf jeden Fall sehr tief eingraben. Allerdings bin ich überzeugt, dass statt Panik-Mache und Einschränkungen schnellstmöglich Normalität hergestellt werden muss. Eine andere als vorher, aber wenn das nicht gelingt, wo soll das hinführen?

In Bagdad geht praktisch jeden Tag ein verrückter Selbstmörder spazieren. Da können die Behörden nicht jeden Tag den Ausnahmezustand ausrufen. Da muss ein gesperrter Straßenzug reichen. Wenn der Wahnsinn zum Alltag gehört, muss man sich arrangieren. Sonst dreht man durch.

Wäre da mehr Normalität, wäre es für so manchen nicht so verlockend, mit einer großen Schandtat in die unrühmliche Geschichte einzugehen. Die Pervertierung der 15 Minuten. Wirkungsverstärkung durch Mitnahme wahlloser Opfer und emotionaler Verunsicherung.

Gestern Abend gab es medial keine Entkommen. Da wird dem Deppen mit wackeligen Smartphone-Videos die große Bühne geboten, über mit Tüchern abgedeckte Tote geschwenkt. Immer mit dem sonoren „natürlich wissen wir eigentlich nichts Genaues und wollen uns zurück halten“.

Wer „nichts Genaues“ weiß, sollte die Klappe halten. Durch wiederholen von Annahmen oder Befragung von Leuten, die auch nicht dabei waren, wird die belastbare Informationsmenge nicht größer. Die Befragung von Augen- oder Ohrenzeugen ist kurz nach so einer Schreckenstat ebenfalls mehr als fragwürdig. Da werden subjektive Eindrücke zu kollektiven. Durch falsches Zusammensetzen aus einem Verrückten bis zu drei, die wild um sich schießend alles wegmetzeln.

Interviews werden zur Nebensache, wenn in einem größeren Bildausschnitt martialisch eingerüstete SEK-Beamte im Laufschritt irgendwohin laufen. Als ob mich das beruhigen würde, dass jetzt richtig viele Waffen im Spiel sind. Fliehende Passanten mit Panik in den Augen als Live-Stream im Abendprogramm. Das ist ungehörig, hat nichts mit „Qualitätsjournalismus“ zu tun, für den sich die zwangsfinanzierten Staatssender gern rühmen. Außerdem verletzt es Persönlichkeitsrechte.

So verlockend die sofortige Präsenz von Tatvideos aus Smartphones ist. Es macht die Arbeit der Polizei nicht einfacher, wiederholt dumme Fragen ebenfalls nicht. Ich habe nicht gezählt, wie oft der sehr eloquente Polizei-Sprecher gestern „wie schon gesagt“ bemüht hat. Weil Journalisten wiederholt tendenziöse Fragen stellen, ohne den Antworten zu lauschen.

Der normaler werdende Wahnsinn halt.


Kommentar von Zauberweib, 23.07.2016

Wieder mal sprichst du mir aus der Seele! 90 Prozent der Berichterstattung gestern Abend war fürn A.... und selbst die Pressekonferenz heute war zwar eine wichtige Erstinformation, um eben die ganzen Falschmeldungen und das Hochgeschaukele vom Abend davor klar zu stellen. Aber den Journalisten war irgendwie nicht klar, dass z.B. Laboruntersuchungen (Alkohol, Drogen, Medikamente, ...) nicht über Nacht fertig sind.

An dieser Stelle muss ich den Leuten vor der Kamera, die Rede und Antwort standen, echt meinen Respekt aussprechen, für die Ruhe und Geduld, die sie an den Tag legten und wieder und wieder die selben Fragen beantworteten.