Nur die Besten
Egal durch welche Ladentür ich schreite. Nahezu überall — jedenfalls bei den größeren Ketten — prangt am Eingang „wir sind getestet die Besten“. Das ist sehr inflationär und wirft für mich Fragen auf.
Wie kann es sein, dass alle in ihrem Bereich die Besten sind? Muss ich mir das wie einen 100-Meter-Lauf vorstellen, bei dem alle gleichzeitig über die Ziellinie gehen? Dann kann es nicht den Besten geben. Allenfalls viele Gute. Natürlich kann ich auf dem ersten Platz sein. Wenn ich ignoriere, dass da auch die anderen sind, ist das zwar sachlich korrekt, hat jedoch Geschmäckle.
Alles sehr obskur. Wobei es bei genauerem Hinsehen Umfrageergebnisse von irgendwelchen Instituten sind, von denen zumindest ich bis dahin nie etwas gehört habe. Und später nie mehr. Da stellt sich mir die Frage, auf welcher Grundlage die Erhebung stattfand und ob der Erheber dafür die erforderliche Sorgfalt aufgewendet hat.
Wenn ich mich an eine Curry-Wurst-Bude stelle und die Besucher frage, ob sie gern Curry-Wurst essen, dürfte das Rennen nach dem Lieblingsgericht der Deutschen einen deutlichen Sieger haben. An zweiter Stelle gefolgt von Pommes.
Das Kleingedruckte auf den „wir Bester“-Signets, die alle mehr oder minder schlecht an die Anmutung des Siegels der Warentest-Stiftung angelehnt sind, gibt aufschlussreiche Auskunft. Denn da wurden Kunden befragt. Also der Curry-Wurst-Esser ob er gern Curry-Wurst isst.
Bei Einladungen zu Online-Umfragen lässt sich häufig bereits ab der zweiten Frage erkennen, welches Ergebnis heraus kommen soll. Was man nicht will, fragt man einfach nicht. Oder sorgt durch eine Vorauswahl möglicher Antworten dafür, dass es eine — gewünschte — Tendenz gibt. Das Ausfüll-Feld Sonstiges hat Alibi-Funktion. Die meisten sind schreibfaul und die paar, die wirklich ernsthafte Ergänzungen machen, haben Pech. Leider nicht standardisierbar, weil das ja eine individuelle Antwort ist. Sprich: für die Erhebung irrelevant.
Wobei Einladungen zunehmend sehr direkt sind: Bitte geben Sie uns fünf Sterne, weil nur darauf fahren alle ab. Das natürlich eleganter verpackt und in mehr Worten, aber eingedampft bleibt genau das übrig. Ähnlich wie Daumen hoch oder runter. Dazwischen ist nichts mehr.
Wozu an dem Markt, für den ich mich durch Betreten desselben gerade entscheide, das ich bin der Beste dran steht, ist für mich nicht nachvollziehbar. Ich würde die Plakatwand gegenüber meinem Mitbewerber mieten und dort darauf hinweisen, dass alle die dorthin gehen den Falschen wählen. Das habe ich allerdings noch nirgends gesehen. Vielleicht, weil man dann nachweisen können müsste, dass diese Aussage belastbar ist?
Ich glaube, hier soll genau das erreicht werden, was Facebook und Co. mit den Mitgliedern machen. Das Bestärkung meiner eigenen Meinung mit dem Eindruck dass ich bei den Richtigen bin, macht mich träge. Wozu vergleichen oder eine wirklich eigene Meinung bilden, wenn ich Mehrheits-Teilnehmer bin?
Das hat etwas Einlullendes. Gestern kam im Radio eine Umfrage, wie viele WhatsApp-Nachrichten Leute so auf Ihren Mobiltelefonen haben. Das war schon ziemlich interessant, wie sehr sich praktisch alle unterschätzten. Ich fand erschreckend, wie viele Nachrichten Menschen mit dem Mäuseklavier auf Geräten zusammenklöppeln, die sie noch gar nicht so lange haben.
Eine Dame hatte ein — ihrer Einschätzung nach — altes Handy („etwa drei Jahre alt“), womit die über 60.000 (!) WhatsApp-Nachrichten1, die sie geschrieben hat, gerechtfertigt sein sollten. Wenn ich unterstelle, dass jede Nachricht nur fünf Sekunden gedauert hat — was als völlig theoretischer Wert ausreicht — sind schon das dreieinhalb Tage Lebenszeit. Wobei das nur die reine Nachrichtenzeit ist. Denn das Warten auf Antworten, das Ausdenken, et cetera, kosten ebenfalls Zeit und lenken von anderen Dingen ab.
Beispielsweise davon, das wir sind die Besten-Schild mal genauer anzusehen. So fügt sich alles wunderbar zusammen. Für wen auch immer.