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gedanken

Erzwungene Weisheit

Erstellt: 27.09.2017 Lesedauer 3 - 4 Min.

Manchmal sind es Kleinig­keiten, die daran erinnern, wie fragil alles im Leben ist.

In unserer Gesellschaft zählt Jugend, Schönheit, Aussehen, Ansehen, Geld. Zumindest macht uns die Werbung das klar und wir lassen uns davon antreiben. Nur so kann ich mir erklären, dass es mittler­weile „Kraft­futter­pulver für Sportler“ sogar bei Discountern gibt. Statt vernünftig ernähren und ein wenig Sport treiben, lieber Kraft und (vermeint­liche) Schönheit anfressen. Denn natürlich soll es ratz-fatz schnell gehen.

Mir sind die genannten Dinge zwar präsent, mein Denken kreist jedoch um Anderes. Denn meine Eltern haben mir etwas mitgegeben, das für Werbe­trei­bende pro­ble­matisch ist: ein solides Maß Intelligenz und Kognition, die ich mit hoher Geschwin­dig­keit anwenden kann.

Daher ist mir klar, dass Altern unauf­halt­bar ist. Weder Cremes noch Chirurgen können daran etwas ändern. Der Zeit ist es egal, wie viele Uhren ich abstelle – sie läuft trotzdem weiter. Ich halte es für zweck­mäßiger mit ihr, statt gegen sie zu arbeiten. Das spart einerseits Geld, anderer­seits entspannt es.

Was die Schönheit betrifft, ist es wie mit dem Altern. Ein Fünfzig­jähriger, der sich mit Hilfe des Skalpells auf Dreißig trimmen lassen will, sieht selten schöner, oft jedoch peinlicher aus. Selbst wenn es gelingt: bereits unter den Verbänden arbeitet die Zeit gegen das Ergebnis. Ein Pyrrhussieg.

Ich wiege zu viel, habe eine Plauze, weil meine Frau toll kocht und ich das in vollen Zügen genieße. Trotzdem werde ich regelmäßig um 10 Jahre jünger geschätzt. Was einerseits schmeichelt, anderer-seits die Frage aufwirft, was mit den „in den Vierzigern“ los ist. Davon unbelassen gibt es aus meiner Sicht objektiv keinen Grund, durch Mittelchen gleich welcher Art etwas forcieren zu wollen. Das Risiko ist groß, dass es beschämend wird und damit in das Gegenteil des Gewünschten umschlägt.

Beim Ansehen und Geld wird es etwas kniffliger. Steht es sich im Porsche schöner im Stau als in meinem (signifikant preis­wert­eren) Mazda? Ist es er­stre­bens­wert, dass einem ein Schwarm „Fans“ oder pein­lich­keits­geile Fotografen verfolgen? Schmeckt der Sekt besser, wenn ich ihn in einem völlig über­teu­er­ten Lokal saufe? Wer das für sich bejahen und leisten kann (bzw. leisten will): viel Spaß dabei. Ich frage mich allerdings regelmäßig, warum so viele teure Autos bei Netto & Co auf dem Parkplatz stehen und aus mit „vor­zugs­weise günstig“ gefüllten Ein­kaufs­wagen beladen werden. Da läuft doch etwas falsch, wenn in Blech gepresste Status nur noch Raum für Tief­kühl­futter und Sonder­an­ge­bote lässt. Wie und zu welchem Preis kann die Investition in Status Zu­frie­den­heit schaffen, wenn es immer noch teurere Autos, Klamotten und Clubs gibt, für die das eigene Konto zu klein ist?

Der wahre Reichtum ist Gesundheit. Das merke ich gerade sehr schmerzlich. Für jemanden, der berufs­bedingt auf seine Augen angewiesen ist, sind „Guck-Probleme“ exis­ten­ziell. Die Empfehlung der Ärzte, „zur Beruhigung der Augen möglichst wenig am Bildschirm machen, schauen sie vor­zugs­weise in die Ferne“ klingt simpel, hat jedoch dramatische Folgen für den Tagesablauf. Immerhin kann ich – nach mehreren Wochen – langsam wieder in homöo­pa­thisch­en Dosierungen und riesengroß ein­ge­stel­lter Schrift diesen Artikel verfassen. Bisher prak­tizierte „Bild­schirm­arbeit“ ist jedoch unter diesen Bedingungen außer Reichweite.

Aufgrund ständig schwan­ken­der Seh­fähigkeit im Nahbereich ist eine (weitere) Arbeits­platzbrille keine Lösung – die würde allenfalls zur Tagesform des Sehtests passen. Immerhin beruhigt sich das langsam. Langsam halt, was eine echte Heraus­forderung für mich ist. Denn es gibt nur wenige Tätigkeiten, die sich jenseits der Armlänge erledigen lassen. Etwa ab da zu mir hin setzt mein medizinisch bisher un­er­klärliches Sehschärfe-Problem ein. Als kleinen Trost lerne ich sehr bewusst die be­mer­kenswerte Fähigkeit meines Körpers kennen, wie die Unschärfe der Augen andere Sinne schärft.

Weil die Zeit un­be­ein­flussbar ist, muss ich akzeptieren, dass es „dauert, so lange es dauert“, bis ich (hoffentlich) wieder meiner eigen­tlichen primären Arbeit nachgehen kann. Bis dahin erschließe ich mit Weitsicht in den Garten die möglichen Alter­nativen. Was mich in Ansätzen begreifen lässt, wie Menschen mit – ver­meint­lichem – „Handycap“ ihren Tag meistern. In all dem (ver­gleichs­weise kleinen) Elend erschließt sich mir damit unerwartet Lebens­weisheit.

­P.S.

Alle, die in irgend einer Weise auf etwas von mir warten, bitte ich um Verständnis und Geduld. In Letzterer muss ich mich momentan permanent üben, was eine große Heraus­forderung für mich ist. Ich kann nur aus­drücklich versichern, dass es mir außer­ordentlich missfällt und bewusst ist, wie ich Ihre strapaziere.