Konsequenzen
Es ist eine unerfreuliche Zeiterscheinung, dass Einzelne Entscheidungen von extremer Tragweite herbei führen, die mangelnde Weitsicht erkennen lassen.
Die Welt wird zunehmend von Größenwahn bestimmt. Jedenfalls kann ich diesen Eindruck bekommen, wenn ich mir die Ereignisse der letzten Zeit ansehe. Da war ein Herr Renzi in Italien. Der wollte im Grundsatz das Richtige, hatte jedoch kein Augenmaß. Womit er eine Chance verpasste, Italien zu reformieren. Statt dessen war er einer von denen, die die Idee „Europa“ ramponieren.
Ein Herr Cammeron hielt sich für derart unwiderstehlich, dass er mit einer EU-Abstimmung die Bevölkerung spaltete. Und die Arroganz der sich sicher Wähnenden war derart groß, dass das mühsame, jahrzehntelange Zusammenwachsen der Insel mit dem Kontinent mangels Wahlbeteiligung der tatsächlichen Mehrheit (so scheint es jedenfalls) ein jähes Ende fand.
Nationale Spaltungen nehmen auffällig zu. Erdoğan hat sie in die Türkei gebracht, Orban nach Ungarn, Trump in die USA, Cammeron nach Großbritannien. Ob in Frankreich eine vergleichbare Spaltung ansteht, wird sich in ein paar Stunden zeigen, wenn die Franzosen in einer der vielen „Schicksalswahlen“ des Jahres (vielleicht sollte ich diesen Mumpitz als „Unwort des Jahres“ vorschlagen?) einen neuen Präsidenten wählen. Ich bin tendenziös, weshalb ich die männliche Form wähle. Die optionale Präsidentin versucht zwar auf der Zielgeraden ein bisschen Schönfärberei. Was sie wirklich will und denkt, lässt sich jedoch ziemlich unzweifelhaft erahnen.
Sogar bei uns wird verstärkt auf Personenkult ohne Hinterfragen der Inhalte gesetzt. Der Schulz aus Würselen hat zwar ein maximalsozialistisches Wahlergebnis bei seiner Partei erzielt. Der vermeintlich ausgemachte „Schulz-Effekt“ oder gar „Höhenflug“ der SPD war jedoch eher die natürliche Wirkung von Schwerkraft, wenn jemand von der Klippe springt: Nach schwungvollem Absprung kommt eine kurze, euphorisierende Flugphase, die in einer schmerzhaften Landung endet.
Was vorhersehbar ist, wenn der Flugschüler nicht das nötige Fluggerät – hier im Sinne von belastbaren und wirklich alternativen Konzepten – unter dem Hintern hat. Markige Sprüche allein machen noch keinen Helden.
Spätestens, wenn es in den Gefängnissen keinen Platz mehr gibt, weil die Todesstrafe der türkischen Bevölkerung dann doch zu weit geht (die Hoffnung stirbt zuletzt), wird womöglich sogar ein Herr Erdogan einsehen, dass es oft anders läuft, als (nicht fertig) gedacht.
Ich mache mir da für Frankreich keine Illusionen: Herr Macron ist letztendlich nichts anders als ein Herr Trump. Er wirkt im Ansatz akzeptabler. Was er daraus macht, mit einer frisch gegründeten Partei, wird sich zeigen. Sollte er gewählt werden, könnte mit Aktionen in der Art der von ihm geforderten EU-Belebung durch Deutschland der deutsche Frohsinn ihn betreffend schnell in Betrübnis umschlagen. Jedenfalls bei uns. Wobei er zumindest vom Grundsatz nichts protektionistisches hat – also selbst damit erst mal besser für uns wäre als eine Frau Le Pen.
Bei Trump & Co. müssen wir´s wohl aussitzen, was Herrn Schulz betrifft, würde es mich ehrlicherweise stark überraschen, wenn er tatsächlich Frau Kanzler vom Thron stürzt. Wobei die zunehmende politische Unstetigkeit alles möglich erscheinen lässt. Wer hätte gedacht, dass Frau Kanzler mal einen Poltergeist wie Herrn Gabriel zum Außenminister macht? Nachdem der den – in meinen Augen – einzigen mit ihr konkurrenzfähigen SPD-Politiker ins Präsidentenamt „weggelobt“ hat? Ob das die richtige Taktik oder einfach nur kurzsichtiges, persönliches Taktieren war – wir werden sehen.
Wie eigentlich immer im Leben sind Konsequenzen bilateral. Wer welche zieht, muss damit klar kommen, dass er sich damit womöglich selbst den kleinsten Gefallen tut. Cammeron und Renzi waren danach jedenfalls weg. Der Boykott Russlands schaden der EU wirtschaftlich wahrscheinlich weit mehr, als es die Geschmähten kratzt. Und ob es wirklich verhältnismäßig ist, einen Herrn Putin auszuklammern, aber einen Herrn Erdogan an den Tisch zu bitten, bezweifle ich. Wobei Herr Erdogan keineswegs per se eine Fehlbesetzung ist. So manches, was er mit seiner Abstimmung (vermeintlich nur für sich) realisiert hat, ist in europäischen Nationen in vergleichbaren Ämtern der Standard. Über das „how to“ und „how far“ lässt sich streiten. Wir werden sehen, welche Konsequenzen das alles noch nach sich zieht.