Was sind wir geil!AlleKosten für Schmerz

gesellschaft,technik,gedanken

Mamma abbutze!

Erstellt: 06.09.2018 Lesedauer 1 - 2 Min.

Damit Mamma mitbekommt, dass Babys Windel voll ist, gibt's jetzt Alarm auf dem Mobiltelefon. Klingt albern, doch es ist wohl nötig.

Ein Artikel bei Heise Online hat mich erst den Kopf schütteln lassen: wozu um Himmels Willen braucht es einen Sensor, der eine gefüllte Windel per App meldet? Allerdings ist mir schon mehrfach aufgefallen, dass hier an meinem Fenster Kinderwagen vorbei rollen, in denen mit Blicken nach Kontakt suchende Babies liegen, die von ihr oder ihm zwar geschoben werden. Doch deren Blick ist nach unten auf das Telefon-Display gerichtet.

„Früher“ hat Mutti/Papa den Windelzustand über den Gesichtsausdruck, die Gestik des Kleinkindes oder schlicht den Geruch registriert bzw. ermittelt. Was natürlich voraussetzt, dass es visuellen Kontakt zum Kind gibt. Mit den moderneren Windeln hat sich ein Wohlfühleffekt für die Kiddies eingestellt, bei dem eine eingepullerte oder festkörperbefüllte Windel so kuschelig wird, dass lauffähige Kleinkinder diese bei Anzeichen zum Materialwechsel per Fluchtversuch verteidigen. Was dazu führt, dass moderne Kinder erheblich länger Windeln tragen, als es mit Baumwoll-Windeln der Fall war. Denn die sind benutzt alles, außer angenehm. Was visuell und akustisch vom Träger signalisiert wird.

Dass Apps dafür entwickelt werden, damit die Eltern-Kind-Kommunikation und Fürsorge aufrecht erhalten wird, erscheint mir höchst bedenklich.

Der Ansatz einer Erleichterung in Betreuungseinrichtungen für das Personal erscheint zwar nützlich und sinnvoll. Bei genauerem Hinsehen offenbart es allerdings ein ziemlich trauriges Problem. Denn Kinder oder z.B. demente Erwachsene liegen oft stundenlang in ihren Exkrementen, weil der Dienstplan Windelwechsel eben nur zu festen Zeiten vorsieht und die geringe Zahl Mitarbeiter(innen) eine echte Zuwendung schlicht unmöglich ist. Ob es dem Pflegepersonal wirklich hilft, dass es jetzt das für ihn unbehebbare Elend seiner Schutzbefohlenen sensorisch erfasst sehen kann, weil z.B. Formulare ausgefüllt werden müssen, damit die Kasse zahlt – wohl eher frustrierend denn hilfreich.

Der „die Welt wie sie mir gefällt in meiner Hand“-Kasten soll zunehmend die verarmende zwischenmenschliche Wahrnehmung mit High-Tech kompensieren. Der Ansatz „kümmern“ ist in einer appisierten Welt offenbar bizarr geworden. „Früher“ rief keine App, sondern das Kind selbst „Mamma abbutze!“1 und löste die Interaktion zwischen Mutter und Kind mit naturgegebener Sensorik aus.

Ob das doppelte „m“ der „hessischen Lautbildung“ gerecht wird, sei dahin gestellt. Persönlich halte ich die vom Duden präferierte Schreibweise „Mama“ für ungenau. Denn „Damm“, „Ramme“, „sammeln“ (kurzes „a“ vor doppeltem „m“) stehen „Dame“, „Name“, „schamhaft“ (langes „a“ vor einfachem„m“) gegenüber. Letztere Betonung für „Mam(m)a“ ist mir unbekannt.

1Hessische Variante von „Mutter, abputzen bitte!“