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Wenn Weitsicht gefährlich wird

Erstellt: 22.02.2018 Lesedauer 1 - 2 Min.

In Cupertino wurde das Vermächtnis von Herrn Jobs umgesetzt. Eine Firmenzentrale aus ganz viel Glas1. Abgesehen von der Verletzungsgefahr für Handybenutzer sehe ich weitere Probleme.

Dass Post-its vor schweren Verletzungen schützen könnten, hat sich der Erfinder sicherlich kaum erträumen können. Dass Design-Überlegungen über das körperliche Wohlbefinden von Mitarbeitern gestellt werden könnten, verwundert dagegen weniger. Was mir an der Idee eines „Glaspalastes“ als Arbeitsplatz spontan missfällt: jeder kann jeden sehen. Also beispielsweise die Gruppe den Vorgesetzten, der gerade einen Kollegen kündigt, oder die Kollegin, die gerade die Trennungs-SMS von ihrem Arschloch-Freund liest.

Ist ja eine schöne Sache, wenn der Blick schweifen kann. Doch wer vor lauter Schwelgen in der Ferne das Nahe liegende übersieht, erweist sich häufig als sozial nur bedingt genießbar. Diesen Ruf hatte Herr Jobs. So mancher Vordenker mag das für sich selbst in Abrede stellen, doch bei genauerer Betrachtung bewegen sich gerade Entscheider zunehmend in irgend welchen Blasen, die weder von Facebook & Co geschaffen werden, sondern ganz allein von ihnen selbst.

Die Gefolgsleute entpuppen sich oft als Ball flach Halter, die einfach das Geld nehmen, einer konstruktiven Auseinandersetzung jedoch aus dem Weg gehen. Weil sie unmöglich geführt werden kann. Denn kratzen am Marmor der Entscheider-Omnipotenz wird wahlweise ignoriert, bei konsequenteren Querdenkern mit Sanktionen bis hin zur massiven Diskreditierung abgestraft.

Zweifellos ist die Fähigkeit zum Blick über den Tellerrand eine wichtige Fähigkeit. Die Suppe im Teller sollte dabei halt bedacht werden. Wenn die kalt wird, hat keiner mehr Lust drauf. Wer von Visionen schwadroniert, muss sich daran messen lassen, was er im Tagesgeschäft auf die Beine bringt. Das gilt für Politiker wie Manager gleichermaßen. Dabei fällt die Bilanz gefühlt zunehmend schlechter aus. Zumindest für die meisten der von den Entscheidungen Betroffenen. Den Entscheidern entgeht in ihren Glaspalästen vor lauter in die Ferne schweifen schon mal die blutende Kopfverletzung des Hausmeisters, der letztendlich dafür sorgt, dass es in der Bude warm ist. Wenn der keine Lust mehr hat, könnte es schneller als vermutet passieren, dass die Scheiben vereisen und es vorbei ist mit dem in die Ferne schweifen.

Eventuell lassen die weißen Wände manchen Entscheider erkennen, wie beschränkt es ist, wenn nur alles draußen interessant scheint. Der bevorzugte Werkstoff beim Bau von Firmen- und Amtssitzen ist zunehmend Glas. Bleibt nur zu hoffen, dass das andere Gründe hat als der bequemen Möglichkeit, über die Probleme vor den Füßen hinwegzusehen.

1Beitrag bei T3N „Zu viel Glas im Apple Park“, nicht mehr abrufbar, 07.03.2024