Medialer FischmarktAlleDas Anstandsmesser

Gedanken,Politik,Gesellschaft,Medien

Ahnungslose Betroffenheit

Erstellt: 12.10.2019 Lesedauer 2 - 3 Min.

Herr Seehofer will „mehr Leute einstellen, die das Internet überwachen“1. Denn dann könnte man solche Geistesgestörten wie den Täter von Halle aufhalten. Das ist ein toller Plan für ein anderes Ressort: endlich Vollbeschäftigung!

🔍 Überwachung ala Seehofer?
Immerhin hat er keine Geschichte dran gehängt, dass er schon Feldstecher und Tarnjacken für die neuen Mitarbeiter bestellt habe. Oder, dass die neuen Mitarbeiter gut zu Fuß sein müssen, weil ,die Bösen“ im Internet mittlerweile ganz schön flink unterwegs wären.

Herr Seehofer: Wenn es Unternehmen wie Facebook oder Google massive Schwierigkeiten macht, unerwünschte Inhalte aufzuspüren und zu sperren, obwohl dafür massiver technischer Budenzauber vorhanden ist, was werden dann wohl die neuen Mitarbeiter – sagen wir mal 30, 40, vielleicht 50? – wohl ausrichten? Wo sollen die den her kommen, welche Kompetenzen sollen die denn mitbringen? Werden wieder „V-Männer“ aus der rechten Szene rekrutiert, die das Geld dankbar nehmen, um damit die Strukturen zu fördern, an deren Zerschlagung sie eigentlich mitwirken sollen?

Mit Verlaub. Solche „Statements“ lassen selbst weniger Bedarften erkennen, dass viele Politiker noch signifikant unbedarfter sind. Der zu dieser Aussage passende Fachbegriff wäre „einen Sack Flöhe hüten“. So nannten meine Großeltern derart komplexe und schwierige Kontrollaufgaben. Für seine Affinität zu neuen Möglichkeiten hat Herr Seehofer selbst den passenden Kommentar geliefert: »Gelegentlich schaue ich mir dann an, wie das kommentiert wird, und was ich da lese, ist oft dermaßen platt und flach, gehässig und bösartig - nein, von so einer Community möchte ich nicht Teil sein.«.

„Ich möchte nicht“ ist für einen Innenminister eventuell eine unpassende Grundhaltung, wenn einerseits zwar neue Besen den Dreck kehren sollen, den andererseits keiner der Verantwortlichen sieht beziehungsweise trotz wiederkehrender Warnungen sehen wollte und wohl auch will. Denn eine wirkungsvolle Bekämpfung der Hasser-Szene könnte die unerfreuliche Erkenntnis zu Tage fördern, dass es doch mehr als der gern zitierte „Einzeltäter“ ist. Der tritt zwar vereinzelt, jedoch immer häufiger auf. Offenbar haben einige asoziale Vollversager die Realität zur Spielfläche für Ego-Shooter-Games erklärt.

Und – nein –, ich glaube keineswegs, dass „solche“ Spiele daran schuld sind. Es liegt viel wahrscheinlicher daran, dass die Betroffenheits-Politiker schlicht ihre Hausaufgaben ignorieren. Da wird mit Blick auf die nächste Wahl lieber den Rentnern eine Wohltat nach der anderen gegönnt, statt den potenziellen Zahlern dieser Geschenke eine Perspektive für das eigene Leben anzubieten. Wer deshalb ständig in die Röhre schaut, kann da schon auf die Idee kommen, dass man durch Röhren schießen kann oder totalitäre Ideen Perspektiven eröffnen. Frustrierte sind sehr empfänglich für „die sind schuld“-Thesen. Völlig belanglos, welchen Wahrheitsgehalt das hat. Selbst die völlige Abwesenheit von Zusammenhängen spielt keine Rolle, mit Ahnungslosigkeit lebt es sich bekanntlich durchaus komfortabel, gell Herr Seehofer?

Das Bild stammt von Pixabay.

1Sinngemäße Verdichtung einer Aussage aus „Was nun Herr Seehofer“, einer Sondersendung des ZDF zum Anschlag in Halle. Dieser Beitrag steht beim ZDF womöglich nur eine befristete Zeit zur Verfügung.