Abenteuer Personalausweis
Ein vor Jahren gemachter Eintrag im Kalender erinnerte an die Erneuerung meines Personalausweises. Ein faszinierender Ausflug in den bürokratischen Wahnsinn.
Ein Ausweis sollte zum Ausgewiesenen passen. Daher ist eine regelmäßige Erneuerung durchaus zweckmäßig. „Beim letzten Mal“ fiel die Entscheidung meinerseits noch zugunsten des folierten Papierdokuments aus. Der damals optional mögliche Scheckkarten-Ausweis erschien mir noch unausgegoren. Dieses Mal gab es keine Wahlmöglichkeit mehr. „Scheckkarte“ inklusive detaillierter „biometrische Anforderungen“ an das Bild:- Kopfdrehung
- Seitliche Kopfneigung
- Geschlossener Mund
- Geöffnete Augen
- Blick zur Kamera
- Gleichmäßiger heller Hintergrund
- Bildhöhe
- Bildbreite
- Verhältnis Kopf- zur Bildbreite
- Verhältnis Kopf- zur Bildhöhe
- Gesichtsmitte vertikal
- Gesichtsmitte horizontal
- Augenabstand
- Gleichförmige Beleuchtung
- keine Lichtreflexe
- keine getönte Brille
- Belichtung
- Schärfe und Kontrast
- keine roten Augen
- Farbraum
- Grauwertverteilung und Farbsättigung
- Komprimierungsgrad
Heutzutage werden Bilder typischerweise digital produziert: erzeugt, verkleinert, gedruckt. Womit es spätestens beim Ausdruck ziemlich viel an Information verliert. Es darf nämlich nur 35x45mm groß sein. Genauer: Es muss genau so groß sein…
Dieses Bild wird in der Ausweisstelle auf einen handelsüblichen Büroscanner gelegt, was weitere Qualitätsverluste heraufbeschwört. Dazu summieren sich noch Toleranzen bei der Verarbeitung.
Am Ende soll dieses Bild den genannten 22 Kriterien genügen. Laut Aussage der in meinem Fall „trotzdem“ bemerkenswert entspannten sowie auskunftsbereiten Mitarbeiterin scheitern daran regelmäßig sogar gestandene Fotografen.
Aus einer Ahnung heraus war mein Bild „selbstgemacht“. Ausgangspunkt war die aktuelle Fotomustertafel des BMI. Bereits hier offenbaren sich potenzielle Schwierigkeiten. Die Anforderungen normieren das Gesicht auf der verfügbaren Fläche in sehr engen Grenzen:
- Wasserstoff-Blonde oder Grauhaarige haben ein „Kontrast-Problem“ aufgrund des geforderten hellen Hintergrunds
- „Längliche Köpfe“ bekommen Schwierigkeiten mit dem Augenabstand
- weit oder eng stehende Augen machen die Einhaltung der anderen Verhältnisse problematisch
- „Rundgesichter“ geraten womöglich „zu kurz“ im Verhältnis zur Bildhöhe
- und so weiter…
- Die engen Grenzen werden durch die verwendete Technik noch enger
Auf dem Sanner meiner Sachbearbeiterin war trotz penibel eingehaltener Vorgaben mein Bild „zu klein“. Ca. 0,085 mm in der Höhe. Also wortwörtlich „um Haaresbreite“. Bei den gängigen Fotodruckern und Scannern ist das eine Pixelzeile. Sprich: deutlich unterhalb der Toleranz, die diese Geräte von Haus aus haben.
Doch die amtliche Verarbeitungssoftware war unerbittlich. „Zu kurz“ ist gleichbedeutend mit »Der Vorgang endet hier«. Sprich: Anderes Bild oder es gibt keinen neuen Perso.
Die Dame auf der anderen Tischseite blieb gelassen: »Ihre Bilder sind von so guter Qualität und halten sich perfekt an die Vorgaben. Aus dem, was hier üblicherweise vorgelegt wird, ragt das deutlich heraus. Keine Sorge, das kriegen wir hin.«
Die Damen und Herren „vom Amt“ haben Strategien entwickelt, wie sie den Zwängen trotzen. »Ich muss mal kurz rüber zur Kollegin«. Offenkundig liegen den dort Arbeitenden detaillierte Kenntnisse zu den physikalischen Grenzen der vor Ort verfügbaren Hardware vor: Nach wenigen Minuten war sie wieder da, mein Bild – auf einem anderen Gerät eingescannt – vom System akzeptiert. Auf dem Scanner der Kollegin war mein Bild demnach „länger“.
Offenbar ist mein Gesicht eine hinreichend „fehlertolerante Allerweltsfresse“, weshalb die anderen Parameter weiterhin erfüllt blieben. Was gleichermaßen daran liegen könnte, dass es einiges an Aufwand war, meine Visage gemäß Anforderungen in die verfügbare Fläche hinein zu platzieren. Mein Fehler war lediglich, das „genau Maß halten“. Ein paar Pixel „über den Rand“ hätte das aufgetretene Problem auf dem „zu kurz“-Scanner vermieden.
Was die aus diesen Bildern generierte Biometrie betrifft, gibt es hoffentlich keinen gesuchten Schwerverbrecher, der sich mit mir die Parameter „im Rahmen der Toleranzen“ teilt. Wenn es bereits bei speziell für diesen Zweck erzeugten Bildern derartige Verarbeitungsprobleme gibt, entwickelt sich eine Vorstellung, was alles passieren kann, wenn das Bild mit einem aus mehreren Metern Entfernung mit einer ranzigen Überwachungskamera geschossenen verglichen wird.
Mein Respekt vor den Sachbearbeitenden in der Passbehörde ist deutlich gewachsen. Dank deren Kreativität wird mein Pass ohne weiteren Stress demnächst zur Abholung bereit liegen. Ausgehend von der Annahme, dass alle so tiefenentspannt damit umgehen, wie die Dame, die sich für mich dem Kampf mit den Tücken des Objekts gestellt hat.
Kennt man aus Erzählungen von anderen in anderen Ämtern anders.