Dann klag ich halt
Frau Luisa Neubauer will sich das „Recht-haben“ erstreiten. Sie klagt damit ausgerechnet diejenigen an, die ihr das eigene Umweltbewusstsein erst ermöglicht haben. Ist das klug?
Wer sich dafür interessiert, wo der tägliche Strom herkommt, kann sich das auf der Electricitiymap.org ansehen. Die Weltkarte offenbart, welchen CO2-Ausstoß die Energiegewinnung verursacht. Erwartungsgemäß gehört Frankreich zu den Saubermännern, denn dort kommt der Strom aus dem Atom.Das toppen lediglich die Skandinavier mit ihrer Wasserkraft. Interessanterweise erzeugt jedoch selbst die CO2-arme Stromproduktion mit Windkraft der Orkney Islands noch 13g/kWh CO2. So wie jeder von uns CO2 erzeugt. Einfach, weil wir atmen. Das kann sich auf rund zwei Tonnen CO2 pro Mensch im Jahr1 summieren.
Darüber sollten sich Leute bewusst sein, die zu Demos fahren und dort mehrere Stunden Parolen rufen. Wogegen es im Grundsatz meinerseits keine Einwände gibt. Allerdings wird der Zwangsaktionismus langsam bedenklich, den einige Leute dabei entwickeln. Statt an Lösungen mitzuwirken, nehmen sie für sich in Anspruch, als Einzige die Wahrheit zu kennen, die es um jeden Preis zu erzwingen gilt. Wobei der Preis dafür — gesellschaftlich, wirtschaftlich, ökonomisch, ökologisch, … persönlich — völlig unklar ist.
Wohin es womöglich führen würde, wenn wir die »Fridays for Future«-Forderungen sofort 1:1 umsetzen, können Ökonomen, Philosophen, Geschichts- und Sozialwissenschaftlern prognostizieren2.
Doch unter den Wissenschaftlern, auf die sich die Umweltaktivisten von »Fridasys for Future« berufen, sind davon keine auszumachen.
Natürlich ist gute Luft und Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema, das viel zu lange ignoriert wurde. Doch wie vernünftig ist es, Mutti, Papa, Oma und Opa dafür anzuklagen, dass sie für ihre jeweiligen Kinder die besterdenkliche Zukunft wollten? Die haben doch genau das gemacht, was »Fridays for Future« und ihnen voran Frau Neubauer fordert: Auf die Wissenschaft gehört3.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde offenbart Frau Neubauer, dass sie letztendlich noch egoistischer ist, als sie es anderen vorwirft. Sie will „ihr Ding“ bekommen. Um jeden Preis. Weil nur sie den richtigen Weg zu kennen glaubt. Was ihr die in ihrem Team fehlenden Geschichts- und Sozialwissenschaftler womöglich sagen würden: Mit Ignoranz, Egoismus, Trotzkopf und Ungeduld lässt sich zweifellos Nachhaltigkeit erreichen: Bei der Ablehnung, die sich dadurch bei anderen aufbaut.
Frau Neubauer verkennt die Tatsache, dass es gerade die gescholtenen Großeltern und Eltern waren, die mit ihrer Öffnung zu Umweltthemen maßgeblich ihr persönliches Umweltbewusstsein geprägt haben. Vor allem hat sich die überwältigende Mehrheit der Gescholtenen ohne großes Aufheben darum zu machen umweltbewusster und nachhaltiger verhalten, als die Protestierenden4.
Wenn sie nun vor dem Bundesverfassungsgericht eine Schlappe einfährt — was wahrscheinlich ist — schadet sie ihrer Sache. Nachhaltig. Weil sich dieser dann gescheiterte Versuch, den demokratischen Prozess zu unterlaufen, auf Jahre immer als Totschlag-Argument gegen die unstreitig wichtigen und richtigen Ziele verwenden lassen wird.
Was schlimmer ist: Der Graben zwischen den Beteiligten wird dadurch breiter, der erforderliche Wandel wird damit ausgebremst. Denn wenn statt konstruktiver Diskussion Argumente über die Gerichte ausgetauscht werden, bedarf es noch mehr Zeit und Geduld. Genau das, was wir in der Sache weder haben noch haben sollten.
Eine Klage gegen diejenigen, die als maßgebliche Gesprächspartner in Frage kommen, vergiftet darüber hinaus das Klima und reduziert die dringend erforderliche Bereitschaft zu konstruktiver Zusammenarbeit und Diskussion.
Auf beiden Seiten.
Das Bild stammt von Pixabay.1Quelle: co2online
2Genau das machen Wissenschaftler: Prognosen. Vor 50 Jahren haben uns Klimawissenschaftler eine Eiszeit prophezeit. Was Rückschlüsse auf die mögliche Fehlertoleranz von Vorhersagen erlaubt.
3Das „auf die Wissenschaft hören“ hat unter vielen Anderen auch den Glauben befördert, dass die Titanic unsinkbar und Atomstrom völlig sicher sei. Das wissen Geschichtswissenschaftler, die tatsächliche Ergebnisse begutachten können.
4Wofür die Porotestierenden allerdings keine Schuld tragen. Das verantworten ebenfalls Wissenschaftler, die uns Nachhaltigkeit ausgetrieben haben.