Das Telegram-Dilemma
„Rechte“ und „Telegram“ gehören in den deutschen Medien unisono zusammen. Ist es tatsächlich so einfach?
Telegram ist ein Messenger wie WhatApp, Signal, Threema, Wire und diverse Weitere. Mit seiner Reichweite liegt er hinter WhatsApp und vor Signal, – beide in den USA angesiedelt. Signal ist von der Idee her Telegram sehr nah: Frei, unabhängig, Ende zu Ende verschlüsselt, – ein „sicheres“ Kommunikationsmittel, ohne Zugriff des Betreibers auf die Daten. Was als aufrichtige Aussage gewertet werden darf, die das FBI auf Anfrage bestätigt hat.Wobei die FBI-Aussage aus mehrfacher Hinsicht einen starken Glauben erfordert: Welcher Geheimdienst würde verraten, dass er Kommunikationsdaten überwacht? Dem Verein wurde immerhin nachgewiesen, dass er die ordnungsgemäße Dokumentation von rund 20% aller Überwachungen „vergessen“ hat…
Eine Bewertung der tatsächlichen Kommunikationssicherheit von Telegram ist kniffliger. Der Betreiber sichert zwar Vertraulichkeit und Schutz der Daten zu, überprüfbar ist das kaum. Telegram umweht ein Geheimdienst-Flair: Wenn „der Russe“ keinen Weg zum Blockieren von Telegram findet, dann müssen das ausgebuffte Schlingel sein, die den Dienst betreiben.
Amnesty International und die American Civil Liberties Union forderten US-Unternehmen auf, dem Druck russischer Behörden keinesfalls nachzugeben. Dann muss Telegram doch „gut“ sein, oder?
Das Dilemma besteht in einer simplen Tatsache: Was in repressivem Umfeld Kommunikationsfreiheit gewährleistet, kann von dunklen Mächten genau dafür genutzt werden: Freie Kommunikation über Themen, die die Freiheit und Unversehrtheit anderer bedrohen. Wobei das bei Telegram konkret bekannt ist. Was die Behauptung, das fände „heimlich“ statt, zumindest mit einem großen Fragezeichen versieht: Heimlich impliziert – zumindest für mich – dass es außer den Akteuren keiner weiß.
Wenn Behörden fordern, „Telegram muss löschen“ ist nur der eigene Standpunkt maßgeblich, warum deutsche Interessen „richtiger“ sein sollten, als die russischer Behörden. Aus unserem politischen Modell heraus scheint es zwingend, aus objektiver Sicht ist es das keineswegs: In beiden Fällen geht es um die Eliminierung politisch unerwünschter Meinungsäußerung. (Sichtbares) Nachgeben zugunsten einer Seite würde das zentrale Geschäftsmodell von Telegram in Frage stellen.
Politisch wird – wie sooft – das Problem an der falschen Stelle vermutet: Telegram ist keine Quelle des Hasses, sondern lediglich ein Werkzeug, das neben banaler oder andernfalls unterdrückter Kommunikation gleichermaßen von Hass-Getriebenen benutzt wird – was objektiv (auch wenn mir das jetzt wirklich weh tut:) „auch nur eine Meinungsäußerung ist“.
Sehr fragwürdig ist die Forderung, „Telegram muss löschen“ allein schon deshalb, weil ein augenscheinlich unkontrollierbares Unternehmen eine Aufgabe erfüllen soll, die zwingend objektiver, öffentlich einsehbarer Kontrolle unterliegen sollte. Andernfalls liegt es allein im Ermessensspielraum einiger weniger, was „genehm“ oder „unerwünscht“ ist.
- Wenn ein CDU-Innenminister abfeiert
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muss jedem klar sein, dass sich „Querdenker“ mit entsprechender Einflussnahme problemlos durch „Ausländer“, „Schwule“, „Sozialdemokraten“, …, ersetzen lässt.
Vor allem löst es kein Problem; es wird lediglich aus der Sichtbarkeit in die „echte“ Heimlichkeit verlagert. „Das Wort verbieten“ führt selten zur gewünschten Einsicht derer, denen es verboten wird. Eher zum Gegenteil. Telegram verteufeln entspricht dem antiken Konzept, dass der Bote schuld an der überbrachten Nachricht ist und deshalb mehr oder minder tödlich bestraft wurde. Was an der Nachricht keinen einzigen Buchstaben änderte.
Eventuell – nur so ein Gedanke – sollten sich der Staat engagierter um den Grund des Hasses und Lösung der ursächlichen Probleme kümmern, statt dem Boten die eigenen Unterlassungen anzukreiden. Einem enthaupteten Boten folgten ungezählte weitere, ohne dass deren Tod irgend etwas am Verlauf der Geschichte geändert hätte. Das Abschlagen von Köpfe war und ist lediglich ein Zeichen hilfloser Macht.
Hass, Kinderpornos, Waffenschieberei,…, alles definitiv maximal übel. Doch Zensur ist ein relativ wirkungsloses Mittel, mit dem für die breite Masse nur ein „Bullerbü“-Anschein gewahrt werden soll.
Gewonnen haben wir erst, wenn alle Hass, Kinderpornos, …, bei Telegram & Co. verbreiten dürften, aber aus tiefster innerer Überzeugung niemand das Bedürfnis oder Verlangen danach hat.
- Der Vollständigkeit halber
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Alle Fähigkeiten, die bei Telegram als Grund für „böse“ gelten, hat z.B. WhatsApp ebenfalls. Ist es „gut“, weil dort z.B. zensiert, wenn auf einem Bild eine stillende Mutter gezeigt wird?