Eine Frage des Maßstabs
Ich bin – jobbedingt – ein „Bewegungsmuffel“. Wogegen es – natürlich – eine App gibt. Deren Lob für meine heute erreichte Leistung erlaubt Einblicke in den Wirkungsgrad dieser Unterstützung.
Als Realist ist mein gestecktes Tagesziel ein Bescheidenes. Ich will 6.000 Schritte jeden Tag laufen. Mindestens. Das soll „beiläufig“ erfolgen, ohne konkreten Eintrag im Kalender der Sorte „hoch die Hufe“. Genau genommen ist es ein Logbuch, wie wenig Bewegung im Laufe des Tages zusammen kommt. Dabei ist die gesteckte Marke durchaus mit Herumrennerei im Büro erreichbar: Kaffee holen, beim Telefonieren (ein Hoch auf Funk-Headsets!), biologische Bedürfnisse, Paketdienst der zur Tür ruft und anderes.Doch häufig genug ist die niedrig gesteckte Marke noch deutlich zu hoch. Woran alle Motivationsversuche „Noch x Schritte, und du hast dein Tagesziel erreicht“ der App selten bis nie etwas ändern. Umso wundersamer ist es, dass mir heute die App Lob ausspricht. Ich hätte ein von wem auch immer definiertes Ziel erreicht. Seit Beginn der Aufzeichnung hätte ich »440K Schritte« getan. Zumindest registrierte. Was eine kleine Beruhigung darstellt, denn regelmäßig liegt das Mobiltelefon irgendwo herum, während ich herum laufe – was den Sensoren verborgen und deshalb in der App „ungezählt“ bleibt.
Für Lobhudelleien gibt es dennoch keinen Anlass. Allein schon deshalb, weil das Tagesziel noch nie sieben Tage hintereinander von mir erreicht wurde. Das zeigen „Tagesplaketten“ unerbittlich an. Das heutige Lob hat ein bisschen was von Erreichen eines Punktes im Raum durch tektonische Bewegungen des Untergrunds: Irgendwann kann jeder ein Ziel erreichen, wenn der Faktor »Zeit« dabei irrelevant ist. Eine weitere Information der Lobeshymne hatte fast schon etwas Beängstigendes. Demnach übertrumpft meine heute erreichte Marke „72.1%“ der übrigen Nutzer. Die mutmaßlich ebenfalls lediglich an der »Zahl ohne Zeit« gemessen werden.
Mit meinem unwiderlegbar durch die App dokumentierten Bewegungsdefizit im ersten Drittel aller Teilnehmer einer „Bewegungsapp“ sein, macht mir sehr deutlich, dass Corona mutmaßlich ein signifikant kleineres Problem für die Menschheit sein könnte, als andere, grundlegendere Auswirkungen auf die allgemeine Gesundheit.
Bei aller Trägheit gelingt mir in mehr oder minder großen Abständen immerhin die Überschreitung der „Tagesdosis“ um ein Mehrfaches. Was zumindest dahingehend beruhigt, dass ich dazu grundsätzlich noch in der Lage bin, ohne dass anschließend ein Sauerstoff-Zelt über mir aufgeschlagen werden muss oder eine mehrtägige Rekonvaleszenz auf der Couch erforderlich wird. Eher das Gegenteil. Diese „Ausflüge in das Mögliche“ haben eine durchaus belebende Wirkung. Was eine aktive Planung via Kalender wieder in den Fokus rückt. Zumindest, wenn meine Definition von „Fitness“ dabei eine Rolle spielt.
- Allerdings,…
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Ausgehend von der App und der Erkenntnis, dass Sieger der Tour de France überwiegend „andere vorne strampeln lassen“ und mit ein paar Spitzen- jedoch primär konstanter Leistungen im vorderen Drittel den Sieg einfahren, wäre heute ein guter Tag für eine große Tüte Erdnussflips: »72,1% sind schlechter als ich. Das ist ja wohl ein Grund zum Feiern, oder?