Generation Lemminge
Während es an Fachkräften mangelt, ist „Reise-Blogger“ augenscheinlich ein neuer Trendberuf bei Schulabgängern. Was mit einer starken Abnahme von Eigeninitiative und Kreativität einhergeht.
So manchem wird schnell klar, dass allein das Wissen darüber, wie die Handy-Kamera bedient wird, keine Follower generiert. Deshalb gibt es (unzählige) Videos, in denen erklärt wird, wie Fotos und Videos erstellt werden, die Trends bedienen. Ein zentrales Thema dabei: Trends finden. Dafür reiche die Eingabe von Begriffen bei Google, YouTube & Co., die den Aufhänger fänden. Was diese „Lehrfilme“ ignorieren: Die Suche wirft typischerweise bereits eine solide Liste an Treffern aus, die genau mit dieser Methode entstanden sind (z.B. Videos, wie Trends gefunden werden,…).
Wer den Stein ins Wasser geworfen hat, spielt dabei keine Rolle mehr. Auf den damit erzeugten Wellen reitet eine Heerschar Ideen-Kopierer. Was es für Suchende, die als Konsumenten dieser Filme zur „Zweckerfüllung“ („Likes“, „Follower“) benötigt werden, schwer macht. Gewonnene Jünger feiern häufig kritiklos alles ab, was „der Meister“ oder „die Meisterin“ präsentiert. Eine seltsame Form von Liebesbeweisen: Ihr gebt mir „Likes“, ich gebe euch was zum „Liken“. Für ernsthaft Interessierte erhöht sich der Aufwand zur Einordnung: Hat das Substanz oder wurde lediglich eine Idee abgekupfert, als mehr oder minder stupides nachäffen von womöglich bereits nachgeäfftem.So manche Kopie ist trotz inhaltlicher Schwächen erfolgreicher als das ursprüngliche Original: Wissen oder Kenntnis allein ist nur die halbe Miete. Die Präsentation hat maßgeblich Anteil am Erfolg. Hätte ein verlauster Penner in Schweden zu Freitagsprotesten für besseren Klimaschutz aufgerufen, hätte das niemanden interessiert. Eine Sechzehnjährige mit adretten Zöpfen, die das Thema inhaltlich eloquent-aggressiv vortragen kann und dafür die Schule schwänzt, steigert die Erfolgschancen ungemein. Wobei das kaum kopierbar Originär ist und deshalb erfolgreich aus dem Meer der Kopierer (auch aus anderen Gründen zurecht) weit herausragt.
Werden dagegen „Likes“ für das 738te Bild vor einer Urwald-Lagune vergeben, mit dem dokumentiert wird „ich war jetzt auch da“, bleibt der Sinn diese Beifallsbekundungen unscharf. Die denkbare Spannweite geht von „schön für dich“ bis „bleib da, Hauptsache weit weg“. Oder gar Applaus für die Ignoranz gegenüber der Umwelt, als (mindestens) 738ter durch den Urwald dorthin getrampelt zu sein und schon knappen Lebensraum für Tiere weiter einzuschränken? Für ein Bild, das es schon 737 Mal bei Tiktok & Co. nahezu identisch gibt? Lediglich mit einer anderen posenden Grins-Visage, die den Anblick versaut. Bedauerlicherweise ist es für manche der Antrieb, für das 739te Bild „im eigenen Reieseblog“ ebenfalls dorthin zu trampeln.
Die lokal Ansässigen solcher durch den Trend gehypten „Hotspots“ kapieren schnell, wie sich die „ich will dieses Bild“-Geilheit monetarisieren lässt. Was für so manche Bild-Kopie eine massive Investition erfordert, die das Einreihen in die Schlange derer ermöglicht, die schon dafür bezahlt haben.
Leider stellt sich kaum einer in der Schlange die Frage, ob ein paar Meter weiter oder zurück ein viel attraktiveres Bild geschossen werden könnte. Dafür wäre Eigeninitiative und „selbst suchen“ erforderlich. Mit dem Risiko, dass dort, wo die Schlange ansteht, der einzig attraktive Punkt im Umkreis von 100 km und drumherum nur Nepp ist.
Was aus meiner Sicht eine erheblich relevantere Information wäre. Doch das erzählt natürlich keiner, der sich dorthin auf den Weg gemacht hat. Würde nach „madig machen wollen“ ausehen – das sammelt keine „Likes“.
Bei Ebbe in der Reisekasse kann allenfalls vor Ort ersatzweise fotografierter Hintergrund die Hoffnung nähren, dass der Wille, „das andere Bild zu wollen“, von den Followern honoriert wird und die damit erhofften Werbeeinnahmen die Reisekasse aufbessern. Für die Anfahrt zum nächsten „Hotspot“.
Das Bild stammt von Pixabay.