Die Relevanz des (eigentlich) …AllePolitiker

medien

Die Welt - wie sie die Welt sieht

Erstellt: 06.01.2014 Lesedauer 5 - 6 Min.

Ich bin „wetterfühlig“ und bekomme gelegentlich — so wie dieser Tage — brachiale Migräne. Aber ich darf den Tag nicht durchdösen, sonst ist auch noch der Schlafrhythmus dahin. Ernsthaft was tun fällt aber aus, weil es einfach nicht geht. Also unterhalte ich mich mit Google-News. Da ist „Die „Welt“ heute mit ein paar Beiträgen vorne im Spiel.

Beate Zschäpe, die heimliche Siegerin

Unter diesem Titel sinniert eine Hannelore Crolly darüber, dass Frau Zschäpe den Staat mit dem NSU-Prozess vorführt. Nun: Wie neu ist diese Erkenntnis? Mal aus der Sicht von Frau Zschäpe betrachtet: Wenn ich so was gemacht habe, fehlt mir — mutmaßlich — sowieso jegliches Unrechtsbewusstsein. Da ist die Antwort auf das „warum“ recht einfach: „Darum“. Die Perversion des Ganzen löst sich für uns außen Stehende und Angewiderte nicht mit einem Prozess. Dagegen muss die Protagonistin ihre Haltung, oder zumindest die Fassade davon hochhalten, denn das ist alles, was ihr geblieben ist. Für die Anderen schwer auszuhalten, ich schließe mich da ein. Aber nüchtern beurteilt hat das eine zwingende Logik. Wenn sie „petzt“, verliert sie die Vollpfosten, für die sie jetzt ein Idol ist. Mit Blick auf Gesinnung und Haltung, wäre sie dann für diejenigen, die ihr da, wo sie absehbar sehr lange hingeht, Status und Schutz garantieren, nichts mehr wert. Ihr Leben währt dann womöglich auch nicht mehr lang. Die oder derjenige, mit einem Verrätermord als Trophäe, wäre dann der neue Held der Szene. Soweit ich das als entfernter Beobachter beurteilen kann, mag Frau Z. einiges sein, aber auf keinen Fall so doof.

Klar. Den Staat kommt das teuer. Warum soo teuer, sei mal dahingestellt. Aber wenn es uns das nicht wert ist, was ist dann unser Staat wert? So fatal es ist, hat Frau Z. uns aus dem wohligen Schlaf der Selbstzufriedenheit gerissen. Das schmerzt im Grunde die außen Stehenden am meisten. Hier wird erschreckend die Arroganz und Inkompetenz von Staatsorganen vorgeführt. Also derjenigen, die uns immer wieder einredeten, sie würden genau das verhindern und hätten das nach eigenem Bekunden alles prima im Griff. Daher reagiert der Staat so hart und dabei erneut so ungeschickt. Die als Abschreckung inszenierte Veranstaltung verkehrt sich immer mehr ins Gegenteil. Dieser Staat ist angreifbar, die staatlichen Protagonisten verkommen zu Karikaturen.

Woran das liegt? Für meinen Geschmack an einem falschen Verständnis von „Staatsmacht“. Eine Demokratie ist verletzlich, das liegt in ihrer Natur. Niemand käme auf die Idee einem Kind, das hinfällt, einen Kettenanzug umzulegen, damit es beim nächsten Sturz nicht blutet. Davon abgesehen, dass es sich ob des Gewichts des vermeintlichen Schutzes womöglich beim nächsten Mal den Arm bricht, oder Schlimmeres. Statt dessen wird man trösten und alles dafür tun, dass die Wunde heilt. Die Sorge gilt der Verletzung, nicht dem Stein.

Hinfallen ist nicht das Problem. Man muss aufstehen, aus dem Schaden eine Lehre ziehen und weitermachen. Strafe mag Genugtuung bedeuten, aber ich sehe nicht, dass der Staat daraus etwas gelernt hätte. Das ist in meinen Augen erheblich problematischer, als eine Frau Z., von der Frau Crolly annimmt — denn sie kann es nicht wissen — sie fühle sich als Siegerin. Erst solche Artikel machen sie dazu.

Verdienst oft unter Mindestlohn

Noch so ein genialer Titel. Klingt erst einmal so, als seien Selbstständige überwiegend arme Schweine. Das will ich nicht weiter verfolgen. Denn gegen Ende kehrt sich das ins Relative. Zwischen den Zeilen steht, dass sie womöglich einfach nur vorzügliche Lügner sind, und uns das alles nur weismachen wollen. Im Grunde haben die doch Vorteile, was Arbeitszeit, Autos und Immobilien betrifft. So gesehen sind die heimlichen Gewinner die Penner unter der Brücke, denn die zahlen keine Miete und Steuern schon gar nicht. Verquere Logik.

Ich hatte mich dem Thema schon einmal über Harz IV genähert. Soweit mir bekannt, könnten auch Selbstständige Harz IV beantragen. Allerdings machen das womöglich nicht so viele, weil sie genau das nicht wollen. Hat was mit Selbstverständnis, Respekt und Würde zu tun. Eigenschaften, die einigen Journalisten nicht ganz so zugänglich sind. Zumindest ist das mein Eindruck beim Lesen mancher Artikel.

Denn „Die Welt“ legt nach. Hier wird der Mindestlohn verteufelt, weil es sich dann ja nicht mehr lohnt, für weniger zu arbeiten. So die schlichte aber bestechende Analyse der vier (!) Autoren. Der Titel die neuen Niedriglöhner ist allerdings grober Unfug. Die Genannten waren es schon immer und sie werden es auch in Zukunft sein. Allein die Forderung nach einem Mindestlohn ändert das nicht und er wird nicht verhindern, dass sich Menschen auch in Zukunft in die Selbstständigkeit wagen. Dabei geht es — siehe oben — nicht nur um Geld. Ohne geht es zwar auch nicht, aber wer sich nicht über den Verdienst definiert, geht damit völlig anders um.

Wobei das sowieso nicht die Stoßrichtung des Artikels ist. Der Mindestlohn wird in der Zusammenfassung als potenzieller Jobkiller angesehen. Denn die Kleinen, die keinen Mindestlohn zahlen können, wird es vom Sockel reißen. Wobei das womöglich auch daran liegt, dass die Großen so schlecht für Leistung zahlen. Oder wir Bürger bei Geld für Leistung definitiv nicht vorn mitspielen, warum sonst sprießen überall die Billigfrisöre aus dem Boden. Die Discounter-Milch kommt wahrscheinlich nicht vom fair bezahlten Bauern, das Suppenhuhn für 3 EUR macht ihn — nach Abzug aller Kosten — auch nicht reicher. Wir stehen lieber 15 Minuten und länger in der Warteschlange der Tankstelle, bei der der Liter Sprit 2 Cent billiger ist als 100m weiter, wo reichlich Zapfsäulen frei wären. Bei 60 Liter Tankvolumen ist uns unsere eigene Zeit offenbar schon nichts wert.

Der Mindestlohn wird die Probleme, die Harz IV nicht lösen kann, ebenfalls nicht beseitigen. Solange es Arbeit gibt, die wir zwar alle haben wollen — z.B. saubere Klos oder Büros — aber uns diese Arbeit dafür nichts wert ist, weil es uns selbst womöglich etwas kostet, spielen die Ausgangsparameter dafür keine Rolle. Das verschiebt mittelfristig nur das Lohngefüge. Denn alle, die jetzt statt 8 € für die Frisur dann 20 € zahlen müssen, werden anstreben, dass sie die 12 € Differenz als Vielfaches mit der nächsten Gehaltserhöhung in der Lohntüte sehen. Ob das klappt und was passiert, wenn nicht, ist die viel spannendere Frage. Ich hätte da spontan ein paar weitere: