20.000 Tage
Seit 20.000 Tagen bin ich jetzt da Nochmal die selbe Distanz ist unwahrscheinlich.
Als gezählte Tage ist es irgendwie vergleichsweise überschaubar. Sie nehmen zwar langsam ab, doch die Staatsschulden pro Kopf liegen zahlenmäßig mit 25.618 € heute noch vorn. Die Schuldenuhr läuft seit 46 Tagen erstmals rückwärts. Vielleicht begegnen wir uns ja noch. Hängt ein bisschen von den neuen, gerade nochmal für Gespräche in die Verlängerung gegangenen Koalitionären ab. Da ist der rote Teil ja der Meinung, man habe genug gespart. Wenn ich mir Projekte wie den BER ansehe, habe ich Zweifel. Generell haben die Staatsschulden in dieser Zeit prozentual deutlich mehr zugelegt als ich.
In den vergangenen Tagen gab es 11 US-Präsidenten, sechs Päpste und acht Bundeskanzler – die habe ich alle erlebt – wenngleich rund die Hälfte davon eher teil- denn wahrnehmend. Der Mond wurde besucht, es gab die Beatles, Abba und Modern Talking, von einigen mit Kabel und Wählscheibe im Flur sind Telefone zwischenzeitlich mobil geworden und für eine erschreckend große Zahl Menschen überlebensnotwendig wie bestimmte Körperteile. Deutschland muss wegen des „Wembley-Tors“ noch acht Jahre auf den nächsten WM-Titel warten und holt sich den nächsten mit einem wahrscheinlich gekauften „Sommermärchen“. Manchmal greift die Wortwahl den da noch ahnungslosen Medien späteren Erkenntnissen voraus.
Im Jahr meiner Geburt wurde der Deutsch-Französische Vertrag die Grundlage für die europäische Union. Martin Luther King rief „I have a dream“ – immer noch unerfüllt, der Hoffnungsträger John F. Kenedy wird erschossen.
Mein Geburtstag markiert in dieser Zeit einige geschichtliche Ereignisse. Johannes XXIII stirbt. Der erste Amerikaner macht 1965 einen „Weltraumspaziergang“, 1968 wird Andy Warhol von einer Feministin niedergeschossen, das Transitabkommen zwischen DDR und BRD tritt 1972 in Kraft. Chicago wird 1975 uraufgeführt, 1992 findet der erste Klimagipfel statt. 1995 wird in Heringsdorf die längste Seebrücke Kontinentaleuropas eröffnet, 1998 wird ATTAC gegründet. An diesem Tag sterben 101 Menschen in Eschede, weil bei einem ICE ein Verschleißteil versagt, das unzureichend getestet war.
Und irgendwo war immer ein Krieg.
Ich durfte in der Zeit mächtige Menschen kennenlernen, einen ehemaligen und einen amtierenden US-Präsidenten beispielsweise. Auch „den Dicken“ und andere Polit- und Wirtschaftsgrößen. Was mich ehrlicherweise etwas ernüchtert hat, denn wie erstrebenswert ist es, dass man nur mit Security aufs Klo gehen kann? Oder dir trotz gigantischem Vermögen nach einem Sturz keiner deine Gesundheit zurück geben kann oder du an Krebs stirbst?
So gesehen hatte ich doch richtig viel Glück beim Sperma-Bingo. Ich wurde in einem Land geboren, in dem es seit meiner Geburt keinen Krieg mehr gab, keine Hungersnot, keine garantiert tödliche Seuche. Meine Eltern konnten mich in eine Schule schicken, ich durfte etwas lernen und mir meinen Lebensweg selbst wählen. Hier fließt sauberes Wasser in rauen Mengen aus der Leitung, ich kann auf einen Schalter drücken und es wird nachts hell im Zimmer während im Kühlschrank reichlich Essen frisch bleibt. Drinnen ist es kuschelig warm, trotz -13° heute morgen draußen.
Wenn ich mir das und vor Augen führe, wie schnell es gehen kann, stehe ich auf der Sonnenseite. Klar. Wenn ein paar Sachen anders gelaufen wären, einiges habe ich verpasst. Doch insgesamt lief es gut bis hierhin. Für den Rest wäre Gesund bleiben schön, mehr Toleranz statt zunehmender Ignoranz und Intoleranz eine Hoffnung.
Alles Andere ergibt sich.