Warum gibt es keine Handwerker mehr?
Weil der Aufwand über die Jahre deutlich gestiegen ist.
Ein Beispiel im Wandel der Zeit:
Ein Bauherr äußert bei einem Bauarbeiter auf seiner Baustelle den Wunsch, ein Hausnummernschild an einen Holzpfahl zu nageln.
- 1960:
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Der Bauarbeiter greift in seine Hosentasche, fischt ein paar Nägel heraus und nagelt das Schild an. Er bedankt sich für eine dafür erhaltene Flasche Bier, nimmt einen kräftigen Schluck und macht da weiter, wo er unterbrochen hat.
- Dauer:
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20 Sekunden.
Diese Geschichte hat mir im Wesentlichen mein Bruder per E-Mail übermittelt. Mir ist unbekannt, wo er sie her hat.
Ich habe sie mit ein paar eigenen, darauf adaptierten Erfahrungen angereichert.
Wer den Schöpfer der Original-Geschichte kennt, möge mir das bitte mitteilen: Ich würde ihm / ihr gern ein Bier und eine Leberkäs-Semmel ausgeben.
- 1970:
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Der Bauarbeiter geht zum Polier. Dieser gestattet das Befestigen des Schildes mit den Nägeln, die der Bauarbeiter in der Tasche gefunden hat. Der Polier nimmt vom Bauherrn wohlwollend eine Flasche Bier und eine Leberkäs-Semmel für das Zuweisen der Arbeit in Empfang.
- Dauer:
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20 Minuten
- 1980:
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Der Bauarbeiter geht zum Polier, der zum Bauleiter. Dieser bespricht die Problematik mit dem Bauherrn bei einem Mittagessen, das der Bauherr bezahlt. Dafür verrechnet er dem Bauherrn kulant nur eine Regiestunde sowie eine Schachtel Nägel.
- Dauer:
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2 Stunden.
- 1990:
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Der Bauleiter holt (nach dem Mittagessen) drei Offerten bei Subunternehmern ein. Er vergibt den Auftrag an den Billigst-bietenden, addiert 10% Generalunternehmerzuschlag und legt dem Bauherrn eine Rechnung zuzüglich Mehrwertsteuer vor.
- Dauer:
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2 Wochen
- 2000:
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Der Bauleiter informiert den Firmenchef. Dieser holt fünf Angebote bei Ich-AGs ein. Den Zuschlag bekommt der Billigste, abgerechnet wird der Teuerste plus 20% Generalunternehmerzuschlag, zzgl. Mehrwertsteuer.
- Dauer:
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2 Monate.
- 2020:
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Wie 2000, jedoch zusätzliche Bearbeitung eines Behördenbescheides, in dem ein statischer Nachweis verlangt wird sowie die Zustimmung des Architekturbeirates. Parallel dazu läuft eine Umweltverträglichkeitsprüfung an.
Der Arbeitsvorgang wird in den Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan der Baustelle eingearbeitet und von Sicherheitsfachkräften geprüft. Es muss ein CE-Zertifikat für den Hammer vorgelegt werden, die Nägel müssen ein nachweislich EU-weit zugelassenes Befestigungsmittel sein.
Der für die Arbeit in einem Auswahlverfahren durch einen externen Dienstleister ermittelte Bauarbeiter wird von einem Fachmann des Nagelherstellers unterwiesen, wie die Nägel einzubringen sind. Diese Unterweisung wird zertifiziert. Zusätzlich benötigt der Arbeiter den Unbedenklichkeitsnachweis eines Arbeitsmediziners, die seine geistige und körperliche Eignung für die Tätigkeit »Nagel einschlagen« attestiert.
Sobald ein positiver Bescheid der Umweltverträglichkeitsprüfung vorliegt und die Bedenken des Architekturbeirates mit mehreren schriftlichen Stellungnahmen zerstreut wurden, darf das Schild mit den festgelegten Befestigungsmitteln am Pfahl angebracht werden.
Ein Ingenieur überwacht den Vorgang und erstellt ein Abnahmeprotokoll. Nagelstatik und Abnahmeprotokoll werden im Ordner “Unterlagen für spätere Arbeiten” abgelegt.
Der Generalunternehmerzuschlag beträgt 30%. Das Datenblatt des Nagels, der Nachtrag des Planungsbüros und die aktualisierten Revisionszeichnungen werden im Anlagebuch abgelegt.
- Dauer:
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2 Jahre.
- 2022:
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Wie 2020, allerdings unterliegen die Nägel nun einer regelmäßigen Revisionspflicht und müssen zur Gefahrenabwehr spätestens alle 3 Jahre ausgetauscht werden.
Dieser Sachverhalt ist in drei Gesetzen und fünf Rechtsverordnungen geregelt - mit 17 gegenseitigen Querverweisen.
- Dauer:
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2 Jahre, alle 3 Jahre 2 Monate (Abnahmeprotokolle!)
- 2023:
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Generalunternehmer verzweifeln. Sie finden keine Bauarbeiter mehr, die sich zum Einschlagen von Nägeln anwerben lassen. Das Geschäftsmodell ist bedroht. Diejenigen, die noch ein Handwerk erlernt haben und es beherrschen, arbeiten mittlerweile strikt nach dem MESA-Prinzip:
Macht Euren Scheiß Alleine.