Gleichberechtigung ist relativ
Gleichheit fordern, wenn daraus Vorteile für einen selbst entstehen, ist das Eine. Sie gewähren und dafür selbst einen Preis zahlen, ist etwas anderes.
Nehmen wir mal an, zwei Frauen, nennen wir sie Frau Weißer und Frau Radmacher, befänden sich in einem Haus, in das eine sabbernde Horde notgeiler Kerle aus dem angrenzenden Wald eingedrungen ist. Diese verwüsten alle Räume, in die sie gelangen. Bewohner darin werden verletzt, vergewaltigt, verschleppt, gefoltert, getötet. So lange das Haus mit Strom und Wasser versorgt wird, können sich die Frauen und übrigen Bewohner gegen Übergriffe verteidigen. Mit improvisierten Wasserwerfern aus Duschschläuchen und kreativ eingesetzten Küchengeräten halten sie die Angreifer in Schach, können sie sogar an einigen Stellen zurückdrängen.Die Nachbarschaft will eine Eskalation vermeiden. Sie wird zwar von den Angreifern wüst beschimpft und bedroht, aber in Ruhe gelassen. Deshalb eilt niemand den bedrängten Damen zu Hilfe. Nach langen Diskussionen hat sich die Gemeinschaft durchgerungen, zumindest mit Generatoren und Wasserpumpen sicherzustellen, dass sich die Frauen weiterhin selbst helfen können. In ihrer Not fordern sie jetzt auch Pfefferspray. Dagegen gibt es massive Bedenken. Die Schwaden könnten in den Wald ziehen und diesen beschädigen, was die Horde gegen die gesamte Nachbarschaft aufbringen könnte.
Zwei Nachbarinnen, sie heißen Frau Schwarzer und Frau Wagenknecht, finden die Unterstützung generell blöd. Angreifer werden nass, aus Blessuren beider Seiten tropft Blut. Sie starten eine Petition, dass kein Wasser und kein Strom mehr ins Haus geliefert werden soll, damit das aufhört. Sie nennen das »Manifest für den Frieden«.
Im Haus haben Schwarzer und Wagenknecht weder Freunde noch Verwandtschaft. Das macht es leicht, die verbliebenen Bewohner dem Mob zu überlassen. Sie argumentieren, das Ziel sei doch klar: Mit Wasser, Strom und womöglich Pfefferspray sollen die Angreifer auf ganzer Linie geschlagen und aus dem Haus vertrieben werden.
Wie sähe die Petition wohl aus, wenn Frau Weißer Schwarzer, Frau Radmacher Wagenknecht hieße und die Fordernden damit selbst Bedrängte wären?
Wer daneben steht statt drunter liegt, hat leicht reden mit „Wenn der Vergewaltiger befriedigt ist, haben die Vergewaltigten ihren Frieden“.
Die Forderung nach Verhandlungen zwischen den verbliebenen Bewohnern und den Aggressoren ist berechtigt. Doch die Horde besteht auf Einnahme des Hauses, die Frauen wollen keine ungehobelten Kerle im Haus und sich nötigen lassen. Offensichtlich muss zuerst eine Patt-Situation geschaffen werden, damit beide Seiten in einer Verhandlungsposition sind: Die einen ausreichend wehrhaft, die anderen ausreichend aussichtslos.
Das ist gruseliges „Kriegsschach“. Natürlich entsteht bis dahin weiter Leid und Elend auf beiden Seiten. Doch wenn Frau Schwarzer und Frau Wagenknecht, selbst ernannte Streiterinnen für Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung, genau das den Ukrainerinnen und Ukrainern verweigern wollen, untergraben sie ihre eigene Glaubwürdigkeit.
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