Entgendern beim Bund
Das Bundesfinanzministerium will sich — Überraschung! — an Regeln halten. Was einige empört. Es sind die Regeln des Rats für deutsche Rechtschreibung. Der sagt – feiner formuliert: Sonderzeichen zum Gendern sind Mist.
Die Argumentation des Rates deckt sich mit der Erfahrung aller, die es mit Genderzeichen versuchen. Mit Gender-Stern, Binnen-I, Unterstrich oder Doppelpunkt wird die Grammatik fragil. Das Lesen oder Sprechen wird zum Hürdenlauf, es kann mehrdeutig werden, automatisierte Übersetzungen sind bestenfalls lustig, fast immer weicht die Bedeutung signifikant vom Urtext ab. Maschinelles Verarbeiten kann gegenderte Texte vollständig zerlegen. Der Gender-Stern hat z. B. in der Markdown-Notation eine formatierende Funktion.
Weshalb das BMF ausgerechnet jetzt hausintern „Sonderzeichen-Gendern“ für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter untersagt, lässt sich eventuell als Anwanz-Versuch bei bayrischen und hessischen Ministerpräsidenten und der Bundes-CDU interpretieren. Steigbügelhaltern den Hintern lecken, gehört zur FDP-DNA.
Wo kommen wir in unserem föderalistischen Staat hin, wenn ein „Verein“ mit Österreichern, Schweizern, Liechtensteinern und anderen, immerhin Deutsch sprechenden „Ausländern“ uns Eingeborenen Ansagen bei der Sprache machen kann?
Zumindest ist es irritierend, dass ausgerechnet ein FDP-geführtes Ministerium auf Regeln pocht, die genau genommen lediglich „Empfehlungen“ sind. Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat keine normative Kraft. Es gibt zwar ein „amtliches Regelwerk“, doch das muss von staatlichen Stellen gepflegt werden.
Im BMF werden die Empfehlungen nun als amtliche Regeln „gelesen“. Was von manchen als Rückschritt gewertet werden mag, lässt sich ebenso gut in die entgegengesetzte Richtung interpretieren: Die Sichtbarkeit der Geschlechter und die Geschlechtersensibilität der Sprache wird aufgewertet.
Mit der Aufforderung zur Schreibweise „Schülerinnen und Schüler“ statt je nach Anhängerschaft »Schüler[I|:i|_i|*i] n[nen]« oder „ärztlichen Rat“ statt »Rat eines Arztes« müssen sich lesende Zeit für die Geschlechter nehmen, schreibende Gedanken um geschlechtsneutrale Formulierungen machen. Das erscheint mir bewusstseinserweiternder als unreflektiertes „[I|:i|_i|*i]in[nen]“ anhängen.
Das „ärztliche“ Beispiel zeigt darüber hinaus prägnant die Untauglichkeit aller „Binnen“-Konstruktionen, wenn das Gemeinte korrekt aufgeschrieben oder gesprochen werden soll:
- Der »Rat eines ArztIn« ist sowohl grammatikalisch als auch in der Rechtschreibung falsch.
- Der »Rat einer ÄrztIn« ist grammatikalisch weiblich, enthält jedoch einen Rechtschreibfehler.
Typografische Zeichen ( *, _ , : ) mögen eindeutiger erscheinen. Die Grammatik- und Falschdeutungsproblematik bleibt dennoch in beiden Beispielen bestehen.
Der erst kürzlich angepasste Nachspann jeder Apothekenwerbung zeigt die einzig mögliche Lösung, die grammatikalisch korrekt und im Gemeinten unmissverständlich ist:
»Rat ihrer Ärztin oder ihres Arztes«.
Gleichzeitig ist es ein Paradebeispiel dafür, dass unsere Sprache Gendergerechtigkeit aus sich heraus ohne typografische Verstümmelungen beherrscht. Es liegt allein an den Verwendenden, ob sie es ist.
- Ach ja...
-
…, die „dazwischen und drumherum“.
Vorhersehbar schäumt die queere Gemeinde ob dieser Entwicklungen.
Wenn Menschen mit individueller Geschlechtswahrnehmung ernsthaft glauben, ein „*“, „I“, „_“ oder „:“, würde sie würdig in der Sprache vertreten oder gar sichtbar machen, verkaufen sie sich für meinen Geschmack weit unter Wert.
Das in der Ursprache vorhandene „oder“ bzw. „und“ ist dazu im Vergleich definitiv sichtbarer.
Letztendlich ist es allein eine Frage der Interpretation und/oder Selbstdarstellung, sowie ganz besonders der Willen und das Wollen von Schreibenden und Sprechenden, die deutsche Sprache all-Gender-gerecht zu verwenden.