Amtliche Sprachanarchie
Ein schwerbehinderter Hermaphrodit klagt wegen Diskriminierung, weil kein zweiter Bewerbungstermin angeboten wurde. Die Klage basiert auf vermeidlich unzureichender Ansprache an Menschen, die sich außerhalb der Termini „Frau“ und „Mann“ definieren.
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden: Der »Genderstern spricht nicht nur Frauen und Männer an«. Geklagt hat ein behinderter zweigeschlechtlicher Mensch. Nach dem verwunderten Lesen fragte ich mich unwillkürlich, wie universell das „Sternchen“ im Sprachgebrauch noch werden soll. Würde es gleichermaßen alle ansprechen, die neben einer anderen Geschlechtlichkeit und Behinderung beispielsweise zusätzlich jüdische Schwarze sind?
Was vordergründig nach einer schlechten Posse klingen mag, ist aus sprachlicher Sicht ein sehr konkretes Problem – oder die Lösung für alles. Gemäß dieses Urteils könnte eine unangreifbare Begrüßung so aussehen:
Hallo *!
Das mit der Diskriminierungsfreiheit ist zwar im Grundgesetz geregelt. Doch die Sprache hinkt in der Wahrnehmung einiger noch hinterher. Männer und Frauen sind dort explizit genannt, anschließend wird es unscharf: Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft, Glauben, Anschauungen, Behinderung werden deshalb nun höchstrichterlich mit „*“ zusammengefasst. Womit der amtlichen Sprachanarchie ein neues Kapitel hinzugefügt wird.
Die schlichte und gerechte Wahrheit des Urteils: Wer einen Termin ohne belegbar triftige Gründe ablehnt, hat wegen „anders sein“ keinen Anspruch auf weitere. „Normalos“ haben generell kein explizites Recht auf ein Vorstellungsgespräch. Sie werden wegen ihres „normal seins“ diesbezüglich diskriminiert1.
Für die Sprache ist die Entscheidung alles andere als „gerechter“ oder „schlichter“. Sie wird damit bizarr verkompliziert. Das zeichnet sich im zitierten Artikel ab: Wer „*“ zur Vermeidung von Diskriminierung verwendet, bekommt in der Verwaltung demnächst womöglich Ärger. Ausgerechnet im Bundesland, das höchstrichterliche Flexibilität bescheinigt wurde, will der Landesfürst die Verwendung jedweder geschlechtergerechter Sprachformen verbieten. Was aufgrund dieses Urteils ein potenzielles Problem ist:
Wenn von Amts wegen „die anderen“ keinesfalls mit orthografischen Krücken erwähnt werden dürfen, doch laut diesem Urteil „die anderen“ mittels „*“ repräsentiert wären, widerspricht das Bundesarbeitsgericht dem „ländlichen“ Ansinnen, wie dort Behörden schreiben dürfen.
Was denn nun?
Werden meine Schreiben zukünftig als unbearbeitbar abgewiesen, weil ich darin »Mitarbeiter*innen« anspreche? Das wäre die Konsequenz, wenn die Verwendung von „*“ im Amt verboten wäre. Noch absurder ist die Frage, wie ein Gericht über ein „*“ urteilen könnte, wenn es kein Bestandteil des Schriftsatzes sein dürfte.
Wie muss zukünftig ein Mitarbeiter(m/w/d) aus Hannover den Kolleg*innen aus München — oder umgekehrt — schreiben?
In Hannover wir der „Genderstar“ explizit empfohlen. Das füllt ganz offiziell zwei bunte DIN A4-Seiten. Müssen zukünftig an den Landesgrenzen Schreiber(m/w/d) beschäftigt werden, die Verwaltungspost für die Kolleg*innen „drüben“ in die jeweils passende Form bringt? Haben wir dafür genug arbeitslose Akademiker(m/w/d)?
Spätestens hier wird sich der ein oder andere Leser(m/w/d) ungläubig die Haare raufen: Haben unsere Verwaltungen keine drängenderen Aufgaben?
Sichtbarkeit“ ist definitiv ein wichtiges Thema. Doch statt einer verklärten Sprache stünde für mich das „Gender Pay Gap“ im Ranking deutlich weiter oben. Davon haben Frauen insbesondere, doch gleichermaßen alle anderen drumherum erheblich mehr, als von einer „gerechteren Sprache“. Die macht keinen Kühlschrank voll2.
Persönlich glaube ich, „echte Gleichberechtigung“ hätte einen wirkungsvolleren Einfluss auf die Sprache, als alle verkopften Versuche, die Wirkung statt die Ursache zu bekämpfen.
Statt sinnfreier Grabenkämpfe würde es dort etwas ändern, wovon alles aus geht: in der Gesellschaft.
Vielen Dank für den Hinweis auf den eingangs verlinkten Artikel.
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